Unter dem Motto »Keine neuen US-Mittelstreckenwaffen in Deutschland, Befehlskommando in Wiesbaden auflösen, Friedensgebot der Hessischen Verfassung einhalten!« hatten friedenspolitische Gruppen und Organisationen zu einer Demonstration am 29. März nach Wiesbaden aufgerufen. Organisiert wurde die Versammlung von der Friedens- und Zukunftswerkstatt aus Frankfurt sowie dem Wiesbadener Bündnis gegen Raketenstationierung.
Im Vorfeld hatte es Kritik an der Veranstaltung gegeben, da Protagonist*innen der Friedens- und Zukunftswerkstatt seit geraumer Zeit auf ein Bündnis mit der rechten VerschwörungsszeneAls rechte Verschwörungsszene, rechte Verschwörungsbewegung oder rechtes Verschwörungsmilieu bezeichnen wir das Spektrum der Personen, die eine Verschwörungsmentalität und eine geteilte Identität als »Freiheitsbewegung« und »Wahrheitsbewegung« verbindet. Die Angehörigen der Szene organisieren sich in analogen und virtuellen Gruppen und Plattformen und verfügen über ein eigenes Netzwerk »alternativer Medien«. Mit den Corona-Protesten Anfang 2020 bildete sich eine Bewegung heraus, die sich beständig… Weiterlesen setzen und diese gar als eine »neue Friedensbewegung« ansehen. Im Aufruf zur Wiesbadener Demonstration hatten die Initiator*innen gar gefordert »für eine sichere und friedliche Zukunft einzutreten, auch in Zusammenarbeit mit politischen Gegnern und Konkurrenten.« Je näher der Tag der Demonstration rückte, umso massiver war in verschiedenen rechten Spektren für diese geworben worden. Rhein-Main Rechtsaußen berichtete darüber.
Soviel vorweg: Es brauchte kein massives Auftreten von bekannten und erkennbaren Rechten, um den Tag für Antifaschist*innen zum Desaster werden zu lassen.

Die Wiesbadener Polizei schreibt in ihrer Pressemitteilung von 1.200 bis 1.400 Teilnehmenden der Demonstration. Diese Zahl wurden von vielen Medien unhinterfragt übernommen, doch tatsächlich waren es mehr als 3.000 Personen, die vom Wiesbadener Hauptbahnhof aus den Anlagenring hochzogen. Den Organisator*innen war es gelungen, den Kern der Friedensbewegung»Friedensbewegung« dient als Sammelbegriff für Gruppen und Personen, die sich dem Pazifismus verpflichtet sehen und gegen Kriegspolitik, Militarismus, Aufrüstung und Rüstungsindustrie wenden. Die Bewegung war lange Jahre von linken und christlichen Gruppen geprägt, jedoch waren dort immer auch souveränistische und antiamerikanische Positionen vertreten. Kristallisationspunkt der Bewegung sind u.a. die jährlichen Ostermärsche, an denen 2023 und 2024 in Frankfurt und anderen… Weiterlesen von Kiel bis Oberbayern zu mobilisieren. Sehr viele Linke blieben der Demonstration hingegen fern.
Die Partei Die Linke hatte ihre Mitglieder und Sympathisant*innen bundesweit zur Teilnahme aufgerufen, kam dann jedoch zu dem Schluss, dass die »geschilderten Aktivitäten und Äußerungen der beteiligten Akteure [der Friedens- und Zukunftswerkstatt] mit linken Positionen weder vereinbar noch akzeptabel« seien. Auch sei der Partei bewusst, dass »Querfrontbestrebungen weder eine soziale noch friedenspolitische Agenda verfolgen, sondern einzig darauf abzielen, rechte Ideologien gesellschaftsfähig zu machen.« Die Linke versprach, rechte Teilnehmende aktiv auszuschließen. Auch die Veranstalter*innen reagierten auf den Druck und fügten ihrem Aufruf den Satz hinzu: »Symbole und Texte von rechtsextremistischen Organisationen und Parteien sind unerwünscht.« Dies war eine pflichtschuldige und zahnlose Aussage, die – das war klar – nicht diejenigen abschrecken würde, die sich nicht als »extremistisch« verstehen.

Letztlich war der Zulauf aus rechten Szenen geringer als dies angesichts der breiten rechten Mobilisierung im Vorfeld befürchtet worden war. Das Netzwerk um die Klartext-BürgerzeitungDie Klartext – Bürgerzeitung für das Rhein-Main-Gebiet ist eine Internetplattform und eine Zeitung, die nach Angabe im Dezember 2024 (Achim Weinacker) in einer Auflage von 65.000 Exemplaren verteilt wird. Von Mai 2022 bis Dezember 2024 erschienen 17 Ausgaben. Von der Ausgabe 12 bis zur Ausgabe 16 (Herbst 2024) nannte sie sich zwischenzeitlich »Bürgerzeitung für das Rhein-Main-Neckar-Gebiet«. Die achtseitige Zeitung bietet… Weiterlesen fehlte zum Großteil. Ein Grund dafür ist sicherlich, dass dessen Führungsfigur Christoph BarthChristoph Barth, genannt Chris, ehemals aus Erzhausen, ist ein bundesweit aktiver und vernetzter Aktivist der rechten Verschwörungsszene. Er vertritt das Label Querdenken, ist ein Macher der Klartext-Bürgerzeitung und hat keine Berührungsängste zu extremen Rechten. Ab März 2020 organisierte Barth Corona-Proteste in Darmstadt und Frankfurt und gründete Querdenken615. Seitdem drängt er in der rechten Verschwörungsszene als narzisstischer Selbstdarsteller in den Vordergrund…. Weiterlesen nur selten in Erscheinung tritt, wenn er nicht mit eigenem Lautsprecherwagen auffahren und in Dauerschleife reden darf. Auch von der rechtsesoterischen Partei DieBasisDie Basisdemokratische Partei Deutschlands, kurz DieBasis, entstand im April 2020 als Sammelbecken von Initiativen und Kleinstparteien aus dem Spektrum der Corona-Proteste. Der Öffentlichkeit gilt DieBasis als »Querdenker-Partei« und »Esoterik-Partei«. Bereits im April 2021 hatte sie im Rhein-Main-Gebiet ca. 800 Mitglieder. Die Partei sammelt ein breites Spektrum von Personen, die sich teilweise als links verstehen, bis hin zu Reichsbürgern und anderen… Weiterlesen, die sich selbst als die »konsequenteste Friedenspartei Deutschlands« versteht, wurde kaum jemand erkannt.
Im Vorfeld der Versammlung hatten die Organisator*innen das Zeigen von Parteifahnen und -Bannern für unerwünscht erklärt. Die Blöcke der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) und der Marxistisch-Leninistischen Partei Deutschlands (MLPD) hielten sich nicht daran, da sie derartige Demonstrationen traditionell dazu nutzen, sich zu inszenieren und Relevanz zu simulieren. Doch hatte dies immerhin zur Folge, dass einige Personen aus dem rechten Spektrum abgeschreckt wurden. Aus ihren Chats lässt sich herauslesen, dass manche die Versammlung frühzeitig verließen, da sie dort »nur Sozialisten und Kommunisten« vorfanden. Auch die gezeigten Regenbogenfahnen (»Satanisten Flaggen«) waren für sie eine Zumutung. Unter diesen wollten sie auch nicht laufen.

Dennoch nahmen an der Demonstration mehrere Dutzend Personen teil, die von Veranstaltungen rechter Gruppen bekannt sind. Darunter befand sich beispielsweise der Pfälzer Unternehmer Wolfgang KochanekDer Unternehmer Wolfgang Kochanek aus Neustadt an der Weinstraße ist ein Netzwerker der rechten Szene und tritt bundesweit als Redner auf. Er steht hinter dem Verein Die Weissen e.V. und dem Netzwerk Unternehmer stehen auf. Auch unterstützt er maßgeblich die Initiative Deutschland steht auf – Neustart Demokratie mit Sitz in Langen (Hessen). Bekannt wurde Kochanek, als er dazu aufrief, ein… Weiterlesen, ein Vertreter des rechten, proprietaristischenRechter Libertarismus und Proprietarismus bezeichnet ein Spektrum und ein Ideologiegebäude, das antiegalitär und in vielerlei Hinsicht antidemokratisch ist. Es ist in der rechten Verschwörungsszene weit verbreitet. Proprietarismus meint die Fixierung auf Eigentumsrechte und die Ablehnung aller staatlichen Eingriffe in diese. Die dort vertretene »freiheitliche« Idee ist rein egoistisch. Sie basiert auf Marktradikalismus und darauf, dass sich Besitzende und Reiche sozialen… Weiterlesen Milieus, der hinter Sozialstaat und Klimaschutzmaßnahmen eine sozialistische Planwirtschaft und »Öko-Diktatur«»Ökodiktatur«, »Klimasozialismus« und »Klima-Extremismus« dienen der Rechten als politische Kampfbegriffe, um ökologisch nachhaltige Politik zu diffamieren. Sie unterfüttern häufig Verschwörungsmythen, in denen der menschengemachte Klimawandel geleugnet oder verharmlost wird. Mit den Begriffen werden Maßnahmen zum Schutz von Klima und Natur diskreditiert, die als einschränkend und bevormundend empfunden werden. Politische Positionen werden angegriffen, die sich u.a. für Tempolimits auf Autobahnen, Dieselfahrverbote,… Weiterlesen sieht. Neben ihm auf der Abschlusskundgebung stand Jan VeilBis in die 1990er Jahre war Veil Musiker der erfolgreichen Band Moskwa TV. Dann wurde er im linken Spektrum aktiv, u.a. bis 2020 im Landesvorstand des Vereins Mehr Demokratie e.V. Hessen. Neben Hajo Köhn war er das Gesicht der Initiative MainFrankfurtVerbindet, die 2020 in Frankfurt Corona-Proteste organisierte. Weiterlesen von der Freien LinkenDie Freie Linke (FL) gründete sich Ende 2020 als Teil der »Widerstandsbewegung gegen die Corona-Maßnahmen«. Sie verbreitet Verschwörungserzählungen zum Thema Corona. Zum Beispiel sieht sie »hinter dem Corona-Regime das Machtkartell der Globalisten«. Die rechten Inhalte und die massive Präsenz rechter Gruppen in dieser Bewegung werden von der FL negiert oder als »einzelne Instrumentalisierungsversuche und Trittbrettfahrer« verharmlost. Eine große Nähe besteht… Weiterlesen, der am 30. November 2024 bei einer Veranstaltung im thüringischen Gera mit Vertretern von AfDDie AfD ist ein Sprachrohr der rechten Verschwörungsszene, die Inhalte und Forderungen gleichen sich oft frappierend. Vielen Verschwörungsgläubigen gilt die AfD als einzig wählbare Partei. PolitikerInnen der AfD im Rhein-Main-Gebiet verbreiten offensiv rechte Verschwörungsmythen, z. B. Andreas Lichert aus Bad Nauheim, Ramona Storm aus Aschaffenburg oder Frank Grobe aus Eltville. Als RednerInnen auf den Aufzügen der Szene treten in der… Weiterlesen und Die Heimat (ehemals NPDDie neonazistische Partei Die Heimat trat in der vergangenen Jahren im Rhein-Main-Gebiet kaum außerhalb einzelner Aufzüge der rechten Verschwörungsszene in Erscheinung. Die Partei war 1964 unter dem Namen Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) gegründet und im Juni 2023 in Die Heimat umbenannt worden. Auf den Aufzügen der Bürgerinitiative Franken, die von Mai bis September 2023 in Aschaffenburg stattfanden nahmen Gruppen von… Weiterlesen) gemeinsam auf dem Podium saß. Anwesend war auch Katja Knoch aus Bensheim, die vorgibt, ein Friedensbündnis Bergstraße zu repräsentieren, in dem die AfD wie selbstverständlich mitmachen darf. Die verschwörungsideologischeVerschwörungserzählungen haben häufig ein ideologisches Korsett. Dadurch erheben sie den Anspruch auf absolute Wahrheit und lassen keinen Widerspruch oder Dissens zu. Es wird sich ausschliesslich auf Aussagen und Dokumente bezogen, die den eigenen Glauben stützen. Diese werden als vermeintliche Belege dargestellt. Gegenläufige Fakten und Meinungen werden hingegen ignoriert, umgedeutet oder als Lügen und Manipulationen verunglimpft. Geschehnisse werden dabei so interpretiert,… Weiterlesen Gruppe Widerstand 4.0Das Grüppchen Widerstand 4.0 ist 2020 aus der Initiative Stopp 5G Frankfurt hervorgegangen und versteht sich als »Aktionsgruppe gegen die technokratische Diktatur«. An ihrem Beispiel ist die Wandlung einer ehemals linken zu einer rechten Gruppe nachzuvollziehen. Neben den zentralen Personen Gundolf Hambrock und Regina Stöber-Yurdakul sind Widerstand 4.0 nur wenige Personen zuzurechnen. Die beiden waren jahrelang in der linken Szene… Weiterlesen trat mit eigenem Transparent auf und verteilte ein Flugblatt, in dem es gegen »grüne Kriegswirtschaft«, den »vom angloamerikanischen Finanzkapital iszenierten Ukraine Krieg« (sic) und gegen das Gesetz für Klimaneutralität wetterte. Auch die rechte Gruppe Bürgerrechtsbewegung SolidaritätDie Bürgerrechtsbewegung Solidarität (BüSo) ist eine 1992 gegründete rechte Partei, die bei Wahlen keine Relevanz erreicht. Sie ist Teil des internationalen Netzwerks des 2019 verstorbenen US-Politikers Lyndon B. LaRouche, ihre deutsche Zentrale ist in Wiesbaden. Die BüSo verbreitet Endzeitvisionen und antisemitische Erzählungen. So behauptet sie, die britische Regierung stehe unter der Kontrolle der Familie Rothschild und das westliche Finanzsystem würde… Weiterlesen (BüSo) und das Medienprojekt Kla.TV der rechten Sekte Organische Christus Generation verteilten ungehindert ihre Flugblätter und Werbezettel.
Da sich die rechten Teilnehmenden nicht in größeren Gruppen zusammenfanden, sondern in kleinen Grüppchen auf den gesamten Aufzug verteilten und in der Masse aufgingen, lässt sich nur schwer schätzen, wie viele es waren. Über Shirts und Buttons von Demokratischer WiderstandDie Zeitung Demokratischer Widerstand (DW) erscheint seit April 2020 wöchentlich, sie nennt sich »Nr. 1 der Corona-Aufklärung weltweit« und »auflagenstärkste Wochenzeitung der Republik«. Die gedruckte Auflage pro Ausgabe dürfte im hohen fünfstelligen Bereich liegen. In der Szene gilt das Blatt aufgrund seiner reißerischen Aufmachung als »Bildzeitung der Widerständler«. In etlichen Orten des Rhein-Main-Gebiets finden regelmäßig Verteilaktionen statt, bei denen die… Weiterlesen und QuerdenkenQuerdenken711 wurde im April 2020 in Stuttgart gegründet. Die Gruppe baute von Anfang an eine professionelle Struktur samt Marketing- und Medienbereich auf. Das Label Querdenken wurde ab Sommer 2020 zur bundesweit bestimmenden »Marke« der Corona-Proteste. In Frankfurt entstand Querdenken69, in Darmstadt Querdenken615, in Wiesbaden Querdenken611 und weitere. Die einzelnen Gruppe wurden von Stuttgart aus koordiniert. Ab dem Jahr 2021 verlor… Weiterlesen und anderem gaben sie sich zum Teil zu erkennen. Einzelne von ihnen hielten über mitgebrachte Megafone Reden, in denen unter anderem zu einer Zusammenarbeit mit der AfD aufgerufen wurde. Von anderen Teilnehmenden erhob sich dagegen kein Protest.
Gegen »die Antifa«
Weitaus problematischer als die bloße Anzahl (erkannter) Rechter war die Stimmung, die Antifaschist*innen in der Demonstration entgegen schlug. Personen, die wegen ihrer Kleidung, Tafeln oder bemalten Regenschirmen (»Nazis Raus«, »Stop Deportations« etc.) als »die Antifa« angesehen wurden, wurden von anderen Teilnehmenden provoziert und teils offen angefeindet. Und das, obgleich sich die Organisator*innen in ihrer Eröffnungsrede von jeder Form von Rassismus, AntisemitismusAntisemitismus ist eine tragende Ideologie der rechten Verschwörungsszene und tritt dort in vielen Facetten in Erscheinung. Als übergeordnete Verschwörungsmythos dient der Szene ein angeblicher Plan einer »globalistischen Elite« zur Schaffung einer Neuen Weltordnung. Darin spiegeln sich viele Elemente der seit fast 2000 Jahren virulenten Erzählungen von einer angeblichen jüdischen Weltverschwörung wieder: Die Ansicht, dass »heimatlose« Jüd*innen kultur- und heimatlose »Einheitsmenschen«… Weiterlesen sowie extrem rechten Gruppen distanzierten und die Versammlung als explizit »links« bezeichneten. So kam es, dass etliche Antifaschist*innen den Demonstrationszug schon auf den ersten Metern verließen oder gar nicht erst mitliefen.
Am Anfang der Versammlung wurde darauf hingewiesen, dass man sich an die Ordner*innen wenden solle, sollte man rechte Personen oder Symbole erkennen. Doch blieb es bei Lippenbekenntnissen. Die Ordner*innen zeigten sich fast ausnahmslos desinteressiert bis überfordert, wenn sie tatsächlich auf diese aufmerksam gemacht wurden. Sie hatten keine Instruktionen und wussten schlichtweg nicht, was sie tun sollten. So stieß die Intervention antifaschistischer Gruppen schnell an Grenzen. Nur zu Anfang gelang es, Ergün KümErgün Küm aus Stuttgart ist eine bekannte Person in der rechten Verschwörungsszene. Er tritt bundesweit in Erscheinung, nahm mehrfach auf Veranstaltungen im Rhein-Main-Gebiet teil, so am 25. Mai 2024 in Frankfurt. Er fällt auf, weil er auf den Aufzügen meist eine oder zwei Katzen auf seiner Schulter trägt und neonazistische wie auch vollkommen absurde Aussagen trifft. Im Interview mit dem… Weiterlesen, der laut eigener Aussage von 2024 die AfD als »viel zu soft« empfindet und deshalb die NPD (inzwischen Die Heimat) wählt, aus der Demonstration herauszudrängen. Doch auf der Abschlusskundgebung weilte er wieder gut gelaunt unter den Teilnehmenden.

Weitere Versuche, bekannte Rechte auszuschließen, scheiterten. Eine Gruppe von Antifaschist*innen bemühte sich, den rechten Streamer und AfD-Aktivisten Paul HildebrandPaul Hildebrand aus Michelstadt im Odenwald ist das Beispiel eines Aktivisten, der sich in den Corona-Protesten als Bewegungsunternehmer professionalisierte. Bis zum Beginn der Pandemie 2020 war er im politischen Geschehen unbekannt gewesen. Er gründete den Versandhandel Pauls Shop mit Adresse in Michelstadt, über den er für sein politisches Milieu Bekleidung, Aufkleber, Bücher, Transparente und Accessoires bis hin zu Einkaufsmarken anbietet…. Weiterlesen am Abfilmen der Demonstration zu hindern. Doch sie bekam keine Unterstützung durch die Ordner*innen und andere Teilnehmende. Im Gegenteil: Etliche Kommentare aus dem Aufzug wendeten sich gegen die Antifaschist*innen und warfen ihnen vor, die Friedensbewegung zu spalten. Zugleich erklärten sie sich mit Hildebrand solidarisch und einigen Aussagen war zu entnehmen, dass sie ihn als selbstverständlichen Teil der Friedensbewegung ansehen. Jörg Schmeer aus Mainz, einer der Anführer der dortigen Corona-ProtesteMit dem Begriff »Corona-Proteste« lassen sich die Aktivitäten zusammenfassen, die von einem Spektrum getragen werden, das sich »Corona-Rebellen« nennt und glaubt, eine »Freiheitsbewegung« gegen eine »Corona-Diktatur« zu sein. Ihre Aufzüge und Aktionen wende(te)n sich thematisch vordergründig gegen Einschränkungen durch die Corona-Maßnahmen und gegen einen angeblichen »Impfzwang«, doch wird dort im allgemeinen Konsens die Gefährlichkeit des Virus geleugnet und es werden… Weiterlesen und Teilnehmer von Reichbürger-Veranstaltungen, gesellte sich an die Seite von Hildebrand und forderte die Polizei brüllend auf, gegen anwesende Antifaschist*innen vorzugehen, da diese angeblich mit FFP2-Masken vermummt seien. Schließlich wurde die Antifa-Gruppe von der Polizei eingekesselt und erhielt Platzverweise. Die Ordner*innen hatten auch hierzu nichts zu sagen und Hildebrand konnte nun ungehindert seinen Livestream fortsetzen. Nach der Abschlusskundgebung in Wiesbaden fuhr er nach Kleinwallstadt (Landkreis Miltenberg), um dort eine migrationsfeindliche Veranstaltung der AfD zu streamen.


Die Antifaschist*innen, die erfolglos intervenierten, sehen sich von den Veranstaltenden nicht ernst genommen und im Stich gelassen. Dass ein Streamer aus dem Spektrum der AfD eine »linke« Demonstration von Anfang bis Ende filmt und dagegen protestierende Antifaschistisch*innen ausgeschlossen und mit Platzverweisen belegt werden, führt jeden Anspruch, eine linke Demonstration durchzuführen und gegen rechts zu sein, ad absurdum.
Mit Rechten die Zukunft gestalten?
Ungeachtet aller Kritik hält der Teil der Friedensbewegung um die Friedens- und Zukunftswerkstatt und der Kampagne Stopp Air Base Ramstein am Bündnis mit der Rechten fest. Aufschlussreich ist die Ausgabe Nummer 59 vom Frühjahr 2025 der Zeitung gegen den Krieg, die von Karl-Heinz Peil aus Frankfurt (Friedens- und Zukunftswerkstatt) und Reiner Braun aus Berlin herausgegeben wird. Beide sind treibende Kräfte dieses Bündnisses. In einem in ihrer Zeitung abgedruckten Gespräch spielen sich Peil, Braun und Ralf Becker von der Initiative »Sicherheit neu denken« den Ball hin und her. Becker sagt: »Und ich halte es für klug, zu unterscheiden zwischen Rechtsextremismus und Rechts. Rechts ist in unserem politischen Spektrum quasi die Hälfte der Bevölkerung, im Moment nach den Wahlergebnissen sogar ein bisschen mehr. Und insofern muss ich als Friedensbewegung rechtsoffen sein. Ich will nämlich eine Mehrheit der Gesellschaft, nicht nur die Linken, die oft in der Minderheit sind, für eine vernünftige Zukunftspolitik gewinnen«. Die Ansage ist unmissverständlich: Erkennbare Neonazis bleiben draußen, aber mit weniger radikalen (oder nicht so radikal auftretenden) Rechten glaubt man, die Zukunft gestalten zu können. Vor allem mit dem Querdenken-Netzwerk, das sich selbst nicht als extremistisch, ja nicht einmal als rechts versteht. Erst am Montag, den 31. März, versammelten sich knapp 25 selbsternannte QuerdenkerInnen zu ihrem allwöchentlichen »Friedensmarsch«Das Label »Friedensmarsch« entstand in der rechten Verschwörungsszene nach Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine. Er findet jeweils wöchentlich an mehreren Orten im Rhein-Main-Gebiet statt. Treffpunkt in Frankfurt ist montags an der Konstablerwache. Passant*innen stellt man sich als »Frankfurter Friedensbewegung« vor. Die Zahl der Teilnehmenden schwankt konjunkturell und witterungsabhängig zwischen 30 und 100 Personen. Auf den Aufzügen werden unterschiedliche… Weiterlesen an der Frankfurter Konstablerwache. In seiner Eingangsrede machte der längst auf AfD-Kurs eingeschwenkte Christoph Barth klar, wer für ihn Freund und Feind ist. Schließlich seien weder Donald TrumpDer US-amerikanische Präsident Donald Trump ist in vielen Ländern eine Kultfigur der Rechten. Obwohl er vielfach der Lügen und Bereicherung während seiner ersten Regierungszeit überführt ist, schuf er sich dort das Image des aufrichtigen Anti-Politikers, der gegen ein korruptes Establishment kämpfe. Seine Ideologie und sein Regierungsstil werden als Trumpismus beschrieben. Sie sind nationalistisch, populistisch, sexistisch, minderheitenfeindlich, chauvinistisch, personenzentriert und autoritär,… Weiterlesen, noch Viktor Orbán, noch Marine Le Pen für Kriege verantwortlich, sondern vielmehr Ursula von der Leyen. Danach hetzte er wie seit Monaten schon gegen einen angeblichen »Massenmigrationspakt«. Wie mag man als linke Person hier Bündnispartner für eine »vernünftige Zukunftspolitik« erkennen?
Die Themen Sondervermögen, Militarisierung der Gesellschaft und die Gefahr eines großen Kriegs bewegen viele Menschen. Friedenspolitik ist zweifellos ein Gebot der Stunde. Viele, die sich als antifaschistisch verstehen, würden sich gerne an friedenspolitischen Demonstrationen und Aktionen beteiligen. Doch sie können und wollen nicht zusammen mit denen auf die Straßen gehen, die AutokratInnen und FaschistInnen das Wort reden, Massenabschiebungen fordern, gegen Feminismus und sexuelle Minderheiten hetzen, über eine »Klimalüge«Die Leugnung oder Verharmlosung des (menschengemachten) Klimawandels ist seit Frühjahr 2023 eines der Hauptthemen der rechten Verschwörungsszene. »Klimalüge«, »Klimahysterie« und »Klimawahn« sind Schlagworte ihrer Propaganda. In Reden auf Aufzügen der Szene werden immer wieder die Fridays-for-Future-Bewegung und die Aktionen der »Letzten Generation« angefeindet. Die Protagonist*innen der Klimawandel-Leugnung und -Verschwörung vertreten häufig eine proprietaristische Ideologie. Der in der Szene vorherrschende gesellschaftsfeindliche… Weiterlesen schwadronieren und antisemitische VerschwörungsmythenBeim Thema Verschwörungen ist häufig von Verschwörungstheorien und Verschwörungstheoretiker*innen die Rede. Allerdings verbinden viele Menschen mit dem Begriff »Theorien« Erklärungen, die an der Realität gemessen werden können. Etliche Erzählungen, die in der rechten Verschwörungsszene kursieren, sind jedoch frei von Fakten und Schlüssigkeit. Beispiele hierfür sind die Behauptungen, dass am 11. September 2001 gar kein Flugzeug ins Pentagon geflogen sei, dass… Weiterlesen verbreiten. Ein einflussreicher Teil der Friedensbewegung hat diese Rechten – angefangen von »Friedensmahnwachen«Vor dem Hintergrund des Ukraine-Konfliktes formierten sich ab März 2014 in Deutschland flächendeckend »Friedensmahnwachen«, die sich – da sie jeden Montag stattfanden – auch »MontagsmahnwachenV nannten. Es entstand eine heterogene Bewegung, in der sich Aktivist*innen der Friedensbewegung, Personen der autoritären Linken mit Reichsbürgern und Anhänger*innen der Truther-Bewegung verbanden. Die »Friedensmahnwachen« wurden zeitweise in fast hundert Orten parallel durchgeführt, es nahmen… Weiterlesen um 2014 bis hin zum Bündnis mit Querdenken 2024 – mit offenen Armen empfangen und mit ihnen so manche inhaltliche Gemeinsamkeit entdeckt. Darüber hat die gesamte Friedensbewegung in der politischen Linken viel Glaubwürdigkeit verloren. Am Samstag in Wiesbaden ist der Scherbenhaufen noch größer geworden.
siehe auch: Frieden links und rechts, 26.09.2024; Frieden mit der Rechten?, 21.03.2025