Scherbenhaufen Friedensbewegung

Unter dem Motto »Keine neuen US-Mittelstreckenwaffen in Deutschland, Befehlskommando in Wiesbaden auflösen, Friedensgebot der Hessischen Verfassung einhalten!« hatten friedenspolitische Gruppen und Organisationen zu einer Demonstration am 29. März nach Wiesbaden aufgerufen. Organisiert wurde die Versammlung von der Friedens- und Zukunftswerkstatt aus Frankfurt sowie dem Wiesbadener Bündnis gegen Raketenstationierung.

Im Vorfeld hatte es Kritik an der Veranstaltung gegeben, da Protagonist*innen der Friedens- und Zukunftswerkstatt seit geraumer Zeit auf ein Bündnis mit der rechten Verschwörungsszene setzen und diese gar als eine »neue Friedensbewegung« ansehen. Im Aufruf zur Wiesbadener Demonstration hatten die Initiator*innen gar gefordert »für eine sichere und friedliche Zukunft einzutreten, auch in Zusammenarbeit mit politischen Gegnern und Konkurrenten.« Je näher der Tag der Demonstration rückte, umso massiver war in verschiedenen rechten Spektren für diese geworben worden. Rhein-Main Rechtsaußen berichtete darüber.

Soviel vorweg: Es brauchte kein massives Auftreten von bekannten und erkennbaren Rechten, um den Tag für Antifaschist*innen zum Desaster werden zu lassen.

Ein Teilnehmer der Friedensdemonstration verkauft einem Anhänger der Kampagne Stopp Air Base Ramstein die Broschüre »Terrorstaat Israel«. © Rhein-Main Rechtsaußen

Die Wiesbadener Polizei schreibt in ihrer Pressemitteilung von 1.200 bis 1.400 Teilnehmenden der Demonstration. Diese Zahl wurden von vielen Medien unhinterfragt übernommen, doch tatsächlich waren es mehr als 3.000 Personen, die vom Wiesbadener Hauptbahnhof aus den Anlagenring hochzogen. Den Organisator*innen war es gelungen, den Kern der Friedensbewegung von Kiel bis Oberbayern zu mobilisieren. Sehr viele Linke blieben der Demonstration hingegen fern.

Die Partei Die Linke hatte ihre Mitglieder und Sympathisant*innen bundesweit zur Teilnahme aufgerufen, kam dann jedoch zu dem Schluss, dass die »geschilderten Aktivitäten und Äußerungen der beteiligten Akteure [der Friedens- und Zukunftswerkstatt] mit linken Positionen weder vereinbar noch akzeptabel« seien. Auch sei der Partei bewusst, dass »Querfrontbestrebungen weder eine soziale noch friedenspolitische Agenda verfolgen, sondern einzig darauf abzielen, rechte Ideologien gesellschaftsfähig zu machen.« Die Linke versprach, rechte Teilnehmende aktiv auszuschließen. Auch die Veranstalter*innen reagierten auf den Druck und fügten ihrem Aufruf den Satz hinzu: »Symbole und Texte von rechtsextremistischen Organisationen und Parteien sind unerwünscht.« Dies war eine pflichtschuldige und zahnlose Aussage, die – das war klar – nicht diejenigen abschrecken würde, die sich nicht als »extremistisch« verstehen.

Ein Aktivist der rechten Verschwörungsszene mit Mikro- und Megafon auf der Friedensdemonstration in Wiesbaden am 29. März 2025 (links) und auf einem Corona-Protest am 17. September 2022 in Frankfurt (rechts). © Rhein-Main Rechtsaußen

Letztlich war der Zulauf aus rechten Szenen geringer als dies angesichts der breiten rechten Mobilisierung im Vorfeld befürchtet worden war. Das Netzwerk um die Klartext-Bürgerzeitung fehlte zum Großteil. Ein Grund dafür ist sicherlich, dass dessen Führungsfigur Christoph Barth nur selten in Erscheinung tritt, wenn er nicht mit eigenem Lautsprecherwagen auffahren und in Dauerschleife reden darf. Auch von der rechtsesoterischen Partei DieBasis, die sich selbst als die »konsequenteste Friedenspartei Deutschlands« versteht, wurde kaum jemand erkannt.

Im Vorfeld der Versammlung hatten die Organisator*innen das Zeigen von Parteifahnen und -Bannern für unerwünscht erklärt. Die Blöcke der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) und der Marxistisch-Leninistischen Partei Deutschlands (MLPD) hielten sich nicht daran, da sie derartige Demonstrationen traditionell dazu nutzen, sich zu inszenieren und Relevanz zu simulieren. Doch hatte dies immerhin zur Folge, dass einige Personen aus dem rechten Spektrum abgeschreckt wurden. Aus ihren Chats lässt sich herauslesen, dass manche die Versammlung frühzeitig verließen, da sie dort »nur Sozialisten und Kommunisten« vorfanden. Auch die gezeigten Regenbogenfahnen (»Satanisten Flaggen«) waren für sie eine Zumutung. Unter diesen wollten sie auch nicht laufen.

In einer rechten Chatgruppe auf Telegram regte sich Unmut über die Präsenz von »Sozialisten und Kommunisten« sowie Regenbogenfahnen. Quelle: Telegram

Dennoch nahmen an der Demonstration mehrere Dutzend Personen teil, die von Veranstaltungen rechter Gruppen bekannt sind. Darunter befand sich beispielsweise der Pfälzer Unternehmer Wolfgang Kochanek, ein Vertreter des rechten, proprietaristischen Milieus, der hinter Sozialstaat und Klimaschutzmaßnahmen eine sozialistische Planwirtschaft und »Öko-Diktatur« sieht. Neben ihm auf der Abschlusskundgebung stand Jan Veil von der Freien Linken, der am 30. November 2024 bei einer Veranstaltung im thüringischen Gera mit Vertretern von AfD und Die Heimat (ehemals NPD) gemeinsam auf dem Podium saß. Anwesend war auch Katja Knoch aus Bensheim, die vorgibt, ein Friedensbündnis Bergstraße zu repräsentieren, in dem die AfD wie selbstverständlich mitmachen darf. Die verschwörungsideologische Gruppe Widerstand 4.0 trat mit eigenem Transparent auf und verteilte ein Flugblatt, in dem es gegen »grüne Kriegswirtschaft«, den »vom angloamerikanischen Finanzkapital iszenierten Ukraine Krieg« (sic) und gegen das Gesetz für Klimaneutralität wetterte. Auch die rechte Gruppe Bürgerrechtsbewegung Solidarität (BüSo) und das Medienprojekt Kla.TV der rechten Sekte Organische Christus Generation verteilten ungehindert ihre Flugblätter und Werbezettel.

Da sich die rechten Teilnehmenden nicht in größeren Gruppen zusammenfanden, sondern in kleinen Grüppchen auf den gesamten Aufzug verteilten und in der Masse aufgingen, lässt sich nur schwer schätzen, wie viele es waren. Über Shirts und Buttons von Demokratischer Widerstand und Querdenken und anderem gaben sie sich zum Teil zu erkennen. Einzelne von ihnen hielten über mitgebrachte Megafone Reden, in denen unter anderem zu einer Zusammenarbeit mit der AfD aufgerufen wurde. Von anderen Teilnehmenden erhob sich dagegen kein Protest.

Gegen »die Antifa«

Weitaus problematischer als die bloße Anzahl (erkannter) Rechter war die Stimmung, die Antifaschist*innen in der Demonstration entgegen schlug. Personen, die wegen ihrer Kleidung, Tafeln oder bemalten Regenschirmen (»Nazis Raus«, »Stop Deportations« etc.) als »die Antifa« angesehen wurden, wurden von anderen Teilnehmenden provoziert und teils offen angefeindet. Und das, obgleich sich die Organisator*innen in ihrer Eröffnungsrede von jeder Form von Rassismus, Antisemitismus sowie extrem rechten Gruppen distanzierten und die Versammlung als explizit »links« bezeichneten. So kam es, dass etliche Antifaschist*innen den Demonstrationszug schon auf den ersten Metern verließen oder gar nicht erst mitliefen.

Am Anfang der Versammlung wurde darauf hingewiesen, dass man sich an die Ordner*innen wenden solle, sollte man rechte Personen oder Symbole erkennen. Doch blieb es bei Lippenbekenntnissen. Die Ordner*innen zeigten sich fast ausnahmslos desinteressiert bis überfordert, wenn sie tatsächlich auf diese aufmerksam gemacht wurden. Sie hatten keine Instruktionen und wussten schlichtweg nicht, was sie tun sollten. So stieß die Intervention antifaschistischer Gruppen schnell an Grenzen. Nur zu Anfang gelang es, Ergün Küm, der laut eigener Aussage von 2024 die AfD als »viel zu soft« empfindet und deshalb die NPD (inzwischen Die Heimat) wählt, aus der Demonstration herauszudrängen. Doch auf der Abschlusskundgebung weilte er wieder gut gelaunt unter den Teilnehmenden.

Gescheiterte Intervention: Antifaschist*innen werfen Ergün Küm aus der Friedensdemonstration. Auf der Abschlusskundgebung waren sie nicht mehr anwesend und er nahm wieder teil. © Rhein-Main Rechtsaußen

Weitere Versuche, bekannte Rechte auszuschließen, scheiterten. Eine Gruppe von Antifaschist*innen bemühte sich, den rechten Streamer und AfD-Aktivisten Paul Hildebrand am Abfilmen der Demonstration zu hindern. Doch sie bekam keine Unterstützung durch die Ordner*innen und andere Teilnehmende. Im Gegenteil: Etliche Kommentare aus dem Aufzug wendeten sich gegen die Antifaschist*innen und warfen ihnen vor, die Friedensbewegung zu spalten. Zugleich erklärten sie sich mit Hildebrand solidarisch und einigen Aussagen war zu entnehmen, dass sie ihn als selbstverständlichen Teil der Friedensbewegung ansehen. Jörg Schmeer aus Mainz, einer der Anführer der dortigen Corona-Proteste und Teilnehmer von Reichbürger-Veranstaltungen, gesellte sich an die Seite von Hildebrand und forderte die Polizei brüllend auf, gegen anwesende Antifaschist*innen vorzugehen, da diese angeblich mit FFP2-Masken vermummt seien. Schließlich wurde die Antifa-Gruppe von der Polizei eingekesselt und erhielt Platzverweise. Die Ordner*innen hatten auch hierzu nichts zu sagen und Hildebrand konnte nun ungehindert seinen Livestream fortsetzen. Nach der Abschlusskundgebung in Wiesbaden fuhr er nach Kleinwallstadt (Landkreis Miltenberg), um dort eine migrationsfeindliche Veranstaltung der AfD zu streamen.

Antifaschist*innen versuchen vergeblich, Paul Hildebrand am Abfilmen der Friedensdemonstration in Wiesbaden am 29. März 2025 zu hindern. Sie erhielten Platzverweise, Hildebrand konnte ungestört weiter filmen. © Rhein-Main Rechtsaußen
Jörg Schmeer (vorne rechts) aus Mainz stand Paul Hildebrand zur Seite. © Rhein-Main Rechtsaußen

Die Antifaschist*innen, die erfolglos intervenierten, sehen sich von den Veranstaltenden nicht ernst genommen und im Stich gelassen. Dass ein Streamer aus dem Spektrum der AfD eine »linke« Demonstration von Anfang bis Ende filmt und dagegen protestierende Antifaschistisch*innen ausgeschlossen und mit Platzverweisen belegt werden, führt jeden Anspruch, eine linke Demonstration durchzuführen und gegen rechts zu sein, ad absurdum.

Mit Rechten die Zukunft gestalten?

Ungeachtet aller Kritik hält der Teil der Friedensbewegung um die Friedens- und Zukunftswerkstatt und der Kampagne Stopp Air Base Ramstein am Bündnis mit der Rechten fest. Aufschlussreich ist die Ausgabe Nummer 59 vom Frühjahr 2025 der Zeitung gegen den Krieg, die von Karl-Heinz Peil aus Frankfurt (Friedens- und Zukunftswerkstatt) und Reiner Braun aus Berlin herausgegeben wird. Beide sind treibende Kräfte dieses Bündnisses. In einem in ihrer Zeitung abgedruckten Gespräch spielen sich Peil, Braun und Ralf Becker von der Initiative »Sicherheit neu denken« den Ball hin und her. Becker sagt: »Und ich halte es für klug, zu unterscheiden zwischen Rechtsextremismus und Rechts. Rechts ist in unserem politischen Spektrum quasi die Hälfte der Bevölkerung, im Moment nach den Wahlergebnissen sogar ein bisschen mehr. Und insofern muss ich als Friedensbewegung rechtsoffen sein. Ich will nämlich eine Mehrheit der Gesellschaft, nicht nur die Linken, die oft in der Minderheit sind, für eine vernünftige Zukunftspolitik gewinnen«. Die Ansage ist unmissverständlich: Erkennbare Neonazis bleiben draußen, aber mit weniger radikalen (oder nicht so radikal auftretenden) Rechten glaubt man, die Zukunft gestalten zu können. Vor allem mit dem Querdenken-Netzwerk, das sich selbst nicht als extremistisch, ja nicht einmal als rechts versteht. Erst am Montag, den 31. März, versammelten sich knapp 25 selbsternannte QuerdenkerInnen zu ihrem allwöchentlichen »Friedensmarsch« an der Frankfurter Konstablerwache. In seiner Eingangsrede machte der längst auf AfD-Kurs eingeschwenkte Christoph Barth klar, wer für ihn Freund und Feind ist. Schließlich seien weder Donald Trump, noch Viktor Orbán, noch Marine Le Pen für Kriege verantwortlich, sondern vielmehr Ursula von der Leyen. Danach hetzte er wie seit Monaten schon gegen einen angeblichen »Massenmigrationspakt«. Wie mag man als linke Person hier Bündnispartner für eine »vernünftige Zukunftspolitik« erkennen?

Die Themen Sondervermögen, Militarisierung der Gesellschaft und die Gefahr eines großen Kriegs bewegen viele Menschen. Friedenspolitik ist zweifellos ein Gebot der Stunde. Viele, die sich als antifaschistisch verstehen, würden sich gerne an friedenspolitischen Demonstrationen und Aktionen beteiligen. Doch sie können und wollen nicht zusammen mit denen auf die Straßen gehen, die AutokratInnen und FaschistInnen das Wort reden, Massenabschiebungen fordern, gegen Feminismus und sexuelle Minderheiten hetzen, über eine »Klimalüge« schwadronieren und antisemitische Verschwörungsmythen verbreiten. Ein einflussreicher Teil der Friedensbewegung hat diese Rechten – angefangen von »Friedensmahnwachen« um 2014 bis hin zum Bündnis mit Querdenken 2024 – mit offenen Armen empfangen und mit ihnen so manche inhaltliche Gemeinsamkeit entdeckt. Darüber hat die gesamte Friedensbewegung in der politischen Linken viel Glaubwürdigkeit verloren. Am Samstag in Wiesbaden ist der Scherbenhaufen noch größer geworden.

siehe auch: Frieden links und rechts, 26.09.2024; Frieden mit der Rechten?, 21.03.2025