Reichsbürger-Märchenland in Rodgau und Rödermark?

Hüpfburg im Reichsbürger-Schrebergarten in Rödermark. © ASVI

Eine »Elterninitiative« im Raum Rodgau und Rödermark will einen »Lernort« für Kinder und Jugendliche schaffen. Ihr Kreis reicht von Reichsbürgern zu einer geplanten anthroposophischen Schule.

Welche abenteuerlichen Allianzen sich im Milieu der Verschwörungsgläubigen bilden, lässt sich seit über drei Jahren jede Woche live bestaunen, wenn Corona-Leugner*innen, Impffeind*innen und die neu aufgestellte Friedensbewegung durch die Straßen ziehen. Esoteriker*innen, Reichsbürger und andere Rechte sind da mittendrin statt nur dabei.

Ihr Netzwerk wächst und bringt fortlaufend Projekte hervor: Vereine werden gegründet, Treffpunkte und Siedlungsgemeinschaften entstehen, ein esoterischer Kongress folgt dem anderen, Heilsversprechen werden vermarktet, Kulturveranstaltungen werden organisiert, Schulen und Lerngruppen werden geschaffen. Diese Projektlandschaft wird Antifaschist*innen noch auf Jahre hinaus beschäftigen. Denn dort entstehen Filterblasen und ideologisch abgeschlossene Räume, in denen sich Menschen vom Rest der Gesellschaft abschirmen, von sozialer Teilhabe isolieren und gegenseitig den letzten Verstand rauben. Vor allem: Dort geben Erwachsene ihr reaktionäres und irrationales Denken an Kinder und Jugendliche weiter. Wer in jungen Jahren mit Verschwörungsmythen indoktriniert wird, hat es im weiteren Leben oft schwer, sich davon zu lösen.

Der Telegram-Kanal »Atlantis«

Eine Schlüsselfigur dieser Szene in der Region Rodgau-Rödermark ist Michael Miletitsch, 38 Jahre alt, wohnhaft im Rodgauer Stadtteil Rollwald. Er ist Reichsbürger und schwurbelt in seinen Ausführungen auch ins Christliche und in den Fantasy-Bereich ab.

Michael Miletitsch aus Rodgau ist eine Schlüsselfigur im Netzwerk von Reichsbürgern, Corona-Leugner*innen und Esoterik im Raum Rodgau und Rödermark. Die Fotos zeigen ihn auf dem »Sternenfestival« am 25. März 2023 in Rodgau-Nieder-Roden. Fotos: ASVI

Im Januar 2021 richtet er im Messenger-Dienst Telegram einen Kanal namens »Atlantis« ein. Schon in seinem ersten Beitrag fallen die Stichworte, die den politischen Kurs angeben: »Grüßt euch, hier erfahrt ihr die uns vorenthaltene Geschichte über Atlantis, Jesus und Helgoland (Heiliges Land). Unsere Geschichte ist dermaßen verfälscht um uns unserer Wurzeln zu trennen. Ohne Wurzeln kann ein Baum nicht gedeihen. In dieser Plandemie Zeit ist es wichtig sich dessen bewusst zu werden und den Richtigen wegen aus der illegalen und korrupten Staatssimulation BRD zu finden.« Plandemie ist eine Wortschöpfung aus dem Spektrum der Verschwörungsgläubigen. Diese gehen davon aus, dass das Corona-Virus planvoll erzeugt und verbreitet wurde, bzw. dass die Maßnahmen zur Einschränkung des Virus Teil eines Planes seien, eine Neue Weltordnung zu errichten. »Illegale und korrupte Staatssimulation BRD« ist typischer Reichsbürger-Terminus. Es drückt aus, dass man die BRD nicht für einen völkerrechtlich legitimierten und souveränen Staat hält, sondern für ein fremdbestimmtes pseudostaatliches Konstrukt.

Vor allem ist Michael Miletitsch ein Antisemit. Über seinen Atlantis-Kanal verlinkt er neben einem Video des Berliner Neonazis Nikolai Nerling (»Volkslehrer«) auch ein Video mit dem Titel »J[Esus König der Germanen«. In dem heißt es, dass Jesus kein Jude, sondern ein Germane gewesen und »entgegen den historischen und rassebiologischen Tatsachen« zu einem »niederrassigen Hebräer« gestempelt worden sei. Auch sei das Hakenkreuz »das uralte Stammeszeichen Jesu« gewesen. Die angeblich jüdische Weltverschwörung habe demnach schon vor knapp 2000 Jahren begonnen: »Mit der Einführung des gefälschten Judenchristentums wurde das deutsche Volk wirtschaftlich und geistig geknechtet.« Das von Miletitsch beworbene Pamphlet fordert des Weiteren die Errichtung einer »arisch-christlichen alle germanischen Volksgenossen umfassenden Nationalkirche« und einer »alle deutschblütigen Kinder aufnehmenden Staatsschule«. Dann wäre das Ziel erreicht: »Rom-Juda hätten für immer ausgespielt, Judas und Roms Macht wäre für immer gebrochen.«

In der Folgezeit verbreitet er über den Kanal eine Videoreihe mit dem Titel »Der geheime Krieg gegen das deutsche Volk und seine historischen Wurzeln«. Auch hier geht es um die angebliche jüdische Weltverschwörung. In diesem Fall soll es eine »Freimaurergroßloge« sein (zu der ein Davidstern eingeblendet wird), die die Menschheit »voll im Griff« habe. Der Erzähler fantasiert im Verlauf des Videos darüber, dass Hitler entweder ein vom Vatikan ins Amt gesetzter Freimaurer gewesen sei oder dass es »diese Gräueltaten« nicht gegeben habe. Weiter geht es mit den üblichen Reichsbürger-Ausführungen. So wird behauptet, dass die BRD immer noch von den Alliierten besetzt und eigentlich eine Firma sei.

Die Videoreihe »Der geheime Krieg gegen das deutsche Volk und deren historischen Hintergründe« (sic!), die über den Atlantis-Kanal beworben wurde, fantasiert über eine »jüdische Weltverschwörung«. Hier Ausschnitte aus Teil 2 der Reihe.

Miletitsch teilt diese Inhalte nicht nur stillschweigend mit seinen 2.876 Abonnent*innen (Stand 19.04.2023), sondern formuliert in einer gleichnamigen Chatgruppe (213 Mitglieder am 19.04.2023) offen und unmissverständlich, dass er all diese Videos gesehen hat und deren Inhalten zustimmt. In der Chatgruppe diskutieren Mitglieder schließlich darüber, auf welches Reich man sich denn genau beziehen solle. Miletitsch meint dazu: »Das Deutsche Reich war doch schon in der Hand der Zionisten« und »BRD muss weg. Aber was nützt ein neues System im System. BRD verwaltet ja lediglich. BRD ist jetzt bald sowieso weg. Schafft sich selbst ab bzw. ist das der Plan um den nächsten Schritt zu NWO umzusetzen. Die Lachnummern Lauterbach, Baerbock usw. sind ganz bewusst eingesetzt«.

Offenkundig sympathisiert Miletitsch mit extrem rechten Siedlungs-Konzepten. Vieles von dem, was er schreibt, wie er sich seine Gemeinschaft vorstellt, ist offenkundig von der völkisch-antisemitischen Anastasia-Bewegung inspiriert. Auch teilt er im Januar 2022 auf seinem Kanal einen Vortrag von Frank Willy Ludwig. Der gehört Anastasia an und führt seine eigene Organisation Urahnenerbe Germania. Er vertritt eine »wedische Rassenkunde« und meint damit eine »Rasse« der Menschen mit weißer Hautfarbe. Seine Vorträge hält er unter anderem in der neonazistischen Szene.

Es ist unstrittig, dass Michael Miletitsch der Betreiber des Atlantis-Kanals und des Atlantis-Chats ist. Zwar tritt er stets nur als Michael auf oder wird »Michi« genannt, doch dieser Michael braucht ständig Geld. In der Atlantis-Chatgruppe schreibt er am 14. Februar 2022: »Ich würde mich auch sehr über Spenden freuen, einfach um mein Geschäft wieder auf die Beine zu stellen. […] Grüße, Michael Miletitsch, Konto BE149[…].« Das angegebene Konto gehört einem Eventverleih DeluXesound, der von ihm betrieben wird. Am 5. Juli 2022 schreibt »Michael« dann im Atlantis-Kanal: »Könnte mal bißchen Hilfe gebrauchen. Heute morgen drohte der Gerichtsvollzieher, wenn ich bis zum nächsten Besuch von ihm, dann mit Polizei, keine 6000€ habe geht’s in die JVA. […] Bin bisschen am Ende. Letzte mal das ich nach Spenden Frage. Die letzten zwei mal kam Nichts, außer von einer bekannten. Fand ich sehr traurig muss ich sagen. Darf gern geteilt werden. M. Miletitsch Konto: de325[…].«

Über die Chat-Gruppen von »Atlantis« und der »ATLANTIS Kultur- und Kinderhilfsstiftung« wurde offen Reichsbürger-Ideologie verbreitet.

Die ATLANTIS Kultur- und Kinderhilfsstiftung

Am 15. April 2021 wird von Michael Miletitsch der Telegramchat »ATLANTIS Kultur- und Kinderhilfsstiftung« gegründet, Stand 19. April 2023 hat er 206 Abonnent*innen. Der Chat dient hauptsächlich der Kommunikation über Treffen, die auf einem Schrebergarten-Grundstück am Rande von Rodgau-Rollwald, jedoch schon in der Gemarkung der Nachbarstadt Rödermark, stattfinden. Den Garten hatte, so schreibt Miletitsch, schon sein Großvater gepachtet. Nun hat er, der Enkel, damit große Pläne.

In der Gruppenbeschreibung heißt es: »Wir erschaffen, in Rodgau einen Ort, in der Natur für Klein und Groß, abseits der Norm mit ihren Maßnahmen. Alternative Schulform, Workshops, für die Teenies,Musikunterricht. Wedische bräuche am Lagerfeuer. Spendenkonto BE149[…]«. Das Profilbild der Gruppe zeigt die sogenannte Lebens-Rune, auch Man-Rune und Elhaz-Rune genannt, die unter anderem im Nationalsozialismus Zeichen der Lebensborn-Organisation war. Wieder wird das Bankkonto von DeluXesound angegeben.

Auf dem Gartengrundstück will der Reichsbürger Miletitsch nun einen Raum schaffen jenseits der verhassten BRD, ihrem Schulsystem und ihren Corona-Regeln. Im Begrüßungstext der Chatgruppe heißt es: »wir möchten Kinder vor diesen drakonischen Maßnahmen Schützen, wir selbst tragen keine Maske und kompromisslos gegen diese Maßnahmen. […] Für die Zukunft schwebt uns ein noch Größerer Platz vor, nicht nur für Kindergartenkinder. Eine andere Art der Schule, etwas neues, Natürliches, eine Lehrstätte und keine Aus-Bildung des freien Kindlichen Geistes.« In der Folgezeit sucht er für sein Projekt »fitte Eltern, die ihre Kinder aus der Schule genommen haben«. Am 24. April 2021 berichtet er über ein Treffen für »Alternatives Lernen«, auf dem er »zwei sehr interessante neue Wege vorgestellt bekommen« habe. Er schreibt: »Eines davon ist schon fast Amtlich, bedarf noch eines Gebäudes. Und das andere Konzept ist auch Klasse. Im Prinzip bilden sich Gruppen im freien und dort kommen jeden Tag andere Mobile Lehrer. Beides ohne Notensystem und nach der Fähigkeit des Kindes ausgerichtet.«

Gleichgesinnte und Mitstreitende hofft er in der Szene der Corona-Leugner*innen zu finden, so bspw. über die Telegram-Gruppe »QUERDENKER 602 Aschaffenburg«, die später von Telegram gelöscht wird. Dort schreibt er am 5. November 2021: »Guten Morgen, gibt’s hier noch eine einsame Lichte Seele, die sich Gleichgesinnte Wünscht aus Rodgau/Rödermark oder auch Umgebung? Wir haben mittlerweile eine Riesige Gemeinschaft, ich sag schon Stamm. Wir Veranstalten feste treffen für alle Unter der Woche und mit Lagerfeuer. Wochenends mit vieeel Essen, gleicht schon einen Büffet. Wir haben viel für Kinder Organisiert die nicht zur Schule gehe weil Sie keine Maske trage oder den Test nicht mit machen. Wir machen Unterricht im freien und sehr Naturbezogen. Eigene Kick Gruppe uvm. Wir haben eigene Untergruppen für Recht, Gesundheit, Sammeln Tauschen usw. Unser Ziel ist es auch eine eigenständige Gemeinde zu Gründen.«

Er beginnt Workshops für Kinder zu veranstalten, »die momentan nicht in die Schule dürfen, weil sie sich nicht testen lassen.« Am 10. März 2022 postet er eine Fotoreihe eines »Holzworkshops im Garten«, auf der er mit mehreren Erwachsenen und Kindern einen hölzernen Spielturm baut. Am 24. April 2022 findet ein »Atlantis Markt« zum »Tauschen/Verkaufen/Schenken« statt.

Auf dem Gartengelände der »Atlantis Kultur- und Kinderhilfsstiftung« fand unter anderem unter Anleitung von Michael Miletitsch (auf den Fotos) ein Workshop mit Kindern und Jugendlichen statt, bei dem ein Spielturm gebaut wurde.
Hüpfburg und »Atlantis-Markt« im Reichsbürger-Schrebergarten in Rödermark. © ASVI

Miletitsch verbreitet über den Chat der »Atlantis Kultur- und Kinderhilfsstiftung« auch ganz offen extrem rechte Inhalte. So bewirbt er am am 17. September 2021 einen in der Reichsbürgerszene kursierenden »Ariernachweis«, der als Ersatz für den Staatsangehörigkeitsausweis der BRD dienen soll. Die Mitglieder seiner Chatgruppe werden sich heute nicht darüber herausreden können, sie hätten nicht gewusst und nicht ahnen können, dass Miletitsch ein extrem Rechter sei.

Im Sommer 2022 wird ihm nach dem Tod seines Vaters der Garten gekündigt. Und er erhält offensichtlich Besuch von der Kriminalpolizei. Am 30. August 2022 schreibt er in den Chat: »Grüßt euch, vorhin um Ecken erfahren das Morgen ein Treffen im Garten stattfindet. Wäre nett davon in Kenntnis gesetzt zu werden, wenn ich schon aus Gruppenchats entfernt werde aus Angst die Kripo könnte mitlesen, nachdem sie bei mir eingelaufen sind.« Weiteren Nachrichten, die er über Chats sendet, ist zu entnehmen, dass er mit Hilfe des Hanauer Rechtsanwalts Holger Fischer juristisch gegen die Kündigung vorgeht. Fischer hält die Corona-Impfung für »Völkermord« und tritt bundesweit als Redner auf Aufzügen der rechten Verschwörungsszene auf. Im Februar wurde bekannt, dass er vom Amtsgericht Hanau als gesetzlicher Betreuer von 79 behinderten Menschen bestimmt war und dass er in einigen bekannt gewordenen Fällen deren Impfung verhinderte oder versucht hatte, zu verhindern. Die Geschichte ging durch die Medien.

Die rechtlichen Schritte gegen die Kündigung des Gartens blieben bislang offensichtlich erfolglos. Im Oktober 2022 meldet sich dann im Chat Mirjam F. zu Wort und schlägt ein Treffen im Garten vor, um zu beratschlagen, wie man als Gruppe mit der Kündigung umgehen solle. Mirjam F. ist seit spätestens April 2022 im Atlantis-Garten aktiv, sie bot dort unter anderem Lesestunden für Kinder an. Sie arbeitet professionell als Fitness-Trainerin und zählt – das macht ihr Facebook-Profil deutlich – zum harten Kern der Esoterik-Szene.

Seit Oktober 2022 sind keine Aktivitäten mehr auf dem Gartengelände festzustellen. Michael Miletitsch hat nun neue Pläne. Derzeit (April 2023) sucht er über Ebay ein Grundstück für ein neues Projekt. Er schreibt: »Wir (Elterninitiative) haben in der Corona Zeit ein Lernort für Kinder gegründet. Frei von schädigenden Maßnahmen. Wir haben viele Projekte auf die Beine gestellt, lernen in der Natur, mit Tieren uvm. Nicht nur für Kinder gibt es Projekte. Wir gehen zb. Gemeinschaftlich zur Selbstversorgung mit eigenem Markt. In einem sehr schönen Schrebergarten bei Rödermark, der letztes Jahr durch die Stadt gekündigt wurde. Das ganze vor Gericht läuft und es vielleicht nicht Gut für uns ausgeht, suchen wir auf diesem Weg eine Alternative. Ein Bauernhof mit Selbstversorgung zb. Wäre schön oder wie auch immer.«

Die Chatgruppe »ATLANTIS Kultur und Kinderhilfsstiftung« existiert weiter, doch werden dort in den folgenden Monaten nur eine Party in Rödermark-Urberach und zwei »Sternenfestivals« beworben. Das erste von diesen findet am 13. Januar 2023 in Messel bei Darmstadt statt, das zweite am 25. März in Rodgau-Nieder-Roden.

Wo man Juden und Jüdinnen die Schuld an ihrer eigenen Vernichtung gibt

Auf dem Programm des Sternenfestivals am 13. Januar in Messel steht unter anderem die Esoterikerin Gudrun Ferenz, die in Erzhausen bei Darmstadt ein Seminarhaus betreibt. Dort bietet sie Ahnenseminare an und vertreibt über ihren Shop den Dung von heiligen indischen Kühen. Neben ihr tritt in Messel der Reichsbürger Werner Jonas als Redner auf. Der ist ein Profischwätzer im esoterischen Welterklärungs- und Selbstoptimierungs-Business. Er betreibt bei Schweinfurt (Unterfranken) ein Unternehmen, über das er seine Vorträge und Seminare vermarktet. In diesen redet er gestressten, sinnsuchenden und von Versagensängsten geplagten Menschen ein, dass in ihnen »magische Fähigkeiten« stecken würden, die von ihm erweckt werden können. Mit dieser Masche hat er offensichtlich Erfolg. Vor einigen Jahren noch nahm er 20€ Eintritt für Reichsbürger-Vorträge mit Titeln wie »Die Wahrheit über die BRD«, heute kostet die Teilnahme an seinen Potentialentfaltungsseminaren fast das 10-fache: 159€ bis 199€ pro Person.

In der Ankündigung für »Die Wahrheit über die BRD« heißt es: »Ist Ihnen bewusst das Deutschland fast 70 Jahre nach Kriegsende noch immer keinen Friedensvertag hat? Wussten Sie zudem, […] dass die BRD selbst gar kein Staat ist – und auch nie war -, sondern eine von den Alliierten installierte Verwaltung, die großteils innerhalb einer ‚Firmenstruktur‘ operiert?« In einer Videobotschaft »Willkommen in der Endzeit … Der innere Prozess« vom 27. Februar 2022 auf seinem Telegram-Kanal ertönt dieselbe Leier. Er behauptet, Deutschland wäre noch »unter Kontrolle der Alliierten« und sei nach wie vor besetzt. Aus seinen Aussagen geht hervor, dass er am 18. September 2022 in der Nähe von Schweinfurt einen Seminartag der Reichsbürgergruppe Arminius Erben organisiert hat. Diese Gruppe gibt vor, den deutschen Ableger der russischen Nationalen Befreiungsbewegung (NOD) zu bilden. Die NOD ist eine neofaschistische Organisation, die Wladimir Putin treu ergeben ist und den Krieg gegen die Ukraine vorbehaltlos unterstützt. Ihr Slogan ist »Heimat! Freiheit! Putin!«.

Der Reichsbürger Werner Jonas, der in Sozialen Medien und Messenger-Diensten als »Herzkrieger« auftritt, sorgt sich sich um den Zusammenhalt der urdeutschen Volksseele. rechts: Auftritt von Jonas auf dem Sternenfestival am 13. Januar 2023 in Messel, links: Nachricht im Telegram-Kanal von Jonas.

Über seinen Telegram-Kanal sendet Jonas regelmäßig Videobotschaften. In einem Video vom 11. Dezember 2021 fabuliert er davon, dass sich die Deutschen durch falsche Erzählungen über die Zeit zwischen 1933 und 1945 energetisch von ihrer Volksseele abgetrennt hätten. Eine »dunkle Seite« wisse um deren Energiefelder und bekämpfe sie daher mit schwarzer Magie. In dem Video »Willkommen in der Endzeit – Kampf um Mittelerde Teil 1« vom 20. März 2022 erklärt er wer auf der »dunklen Seite« angeblich die Strippen zieht: Geheimgesellschaften wie Freimaurer und Illuminaten hätten die Kontrolle über die Erde übernommen und die Geschichte manipuliert. Freimaurer und Illuminaten stehen im antisemitischen Verschwörungsdenken als Chiffre für das Judentum. Doch dabei belässt es Jonas nicht und wird schließlich sehr deutlich: »Der größte Trick neben diesen ganzen Gesellschaften […] war dann die Geschichte des chasarischen Reichs. Der König des chasarischen Reichs konvertierte zum Judentum […] insofern ist es kaum verwunderlich, dass genau aus diesem chasarisch-abstämmigen Judentum heraus dann Namen auftauchen wie beispielsweise Rothschild, Rockefeller und so weiter«. Antisemitismusvorwürfe seien nur ein Deckmantel, der dafür sorge, dass man nicht »weiterbohren« könne.

Als Nächstes führt er aus: »Schon in meiner Jugend habe ich mir die Frage gestellt, wie kann es denn sein, dass beispielsweise zu Zeiten Adolf Hitlers, dass genau dieses Naziregime auch Gelder bekommen hat, genau von diesen Banken? […] wie könnte jemand, der tatsächlich dem Judentum angehört dann einem Geld geben, damit er existieren kann und eine Unterdrückung von anderen Juden mehr oder weniger veranlasst? Selbst renommierteste jüdische Rabbis […] sagen: ‚hier handelt es sich nicht um Juden, sondern es sind Zionisten‘ […] genau diese dunkle Seite, diese satanische Seite hat dann vor rund 250 Jahren ganz aktiv die Fäden in die Hand genommen«. Für derartige Aussagen dürfte sich auch die Staatsanwaltschaft interessieren.

Dann schwenkt er zum extrem rechten Dauerbrenner-Thema: Die Kriegsschuld. Er sagt: »Die Geschichte des ersten und des zweiten Weltkriegs ist eine völlig andere als die meisten Menschen vermuten und es gab ganz andere Verantwortliche, als die, die man uns präsentiert hat (…) Nur die Masse der Menschen glaubt das natürlich noch nicht, weil sie so stark konditioniert wurde, dass sie mit diesem Schuldkomplex‚ ‚wir Deutschen sind grundsätzlich die Bösen‘ einfach seit Jahrzehnten lebt und leben muss«. Dabei beruft er sich auf angebliche Aussagen von Wladimir Putin. Mit der Behauptung, es gäbe einen »Schuldkomplex« wird die Erinnerung an den Holocaust abgewehrt und seine Opfer verhöhnt. Die absurde Ansicht, dass Zionisten das Naziregime gefördert hätten, meint nichts anderes, als dass die Juden und Jüdinnen den Holocaust selbst zu verantworten hätten.

Die SenseAbiltyAcademy und die Agape-Schule

Das zweite Sternenfestival im Jahr 2023 findet am 25. März auf dem Gelände des Don-Bosco-Heims am Waldrand bei Rodgau-Nieder-Roden statt. Es ist eine kircheneigene Anlage, die von der katholischen Pfarrgemeinde St. Matthias in Nieder-Roden verwaltet wird.

Am 12. Oktober 2021 berichtete die Offenbach Post in einem Artikel (»Grundschule mitten im Wald bei Rodgau geplant«), dass die Pfarrgemeinde das Gelände für 200 Euro monatlich an das Unternehmen SenseAbilityAcademy verpachtet hat. Diese wolle auf dem Grundstück eine freie Schule aufbauen, deren pädagogisches Konzept sich an der Anthroposophie orientiert, jedoch keine reine Waldorf-Schule werden soll. Die Schule soll Agape-Schule heißen, die Kinder sollen mitten in der Natur in kleinen Gruppen unterrichtet werden. Das griechische Wort Agape ist ein Begriff aus dem Christentum, es steht für göttliche Liebe. Da die Schule die ersten Jahre ohne Landesförderung auskommen muss, hoffe sie nun auf finanzielle Unterstützung durch die Stadt Rodgau. Stand April 2023 sucht die Agape-Schule einen Grundschullehrer mit zweiten Staatsexamen, um bald starten zu können. Ob die Schule tatsächlich im Don-Bosco-Heim in Nieder-Roden eingerichtet werden soll, steht derzeit noch in Frage, als möglicher Standort wird auch der alte Flugplatz in Babenhausen in Betracht gezogen.

Unter der Trägerschaft der SenseAbilityAcademy befinden sich laut den Angaben auf ihrer Homepage 14 Kneipp/Gesundheits-Natur – oder Waldgruppen, einige weitere Gruppen seien zudem in Hessen, Bayern, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz geplant. Auch ein Waldkindergarten in Hösbach (bei Aschaffenburg) wird von der SenseAbilityAcademy betrieben. Die regionale Tageszeitung Main-Echo berichtete am 29. Dezember 2021 über das Projekt. Sie schreibt auch, es habe vor der Gründung den Vorwurf von »sektenähnlichen Strukturen« gegen die Leiterin Asha Scherbach gegeben. Doch diese Kritik sei – so das Main-Echo – verstummt.

Asha Scherbach aus Obertshausen ist die Geschäftsführerin der SenseAbilityAcademy – Bildung für nachhaltige Entwicklung gemeinnützige UG, die Anfang 2018 ins Handelregister eingetragen wurde. Sie ist im Landkreis eine bekannte und umstrittene Pädagogin. Sie ist Christin, Anthroposophin und zweite Vorsitzende des Landesverbandes der Natur- und Waldkindergärten in Hessen e.V. Auf ihrer Homepage stellt sie sich als »Schreinerin, Dipl. Schauspielerin, Dipl. Psychologin, Heilpraktikerin und Therapeutin (Psychodrama, NLP, Systemik, Körper und -Gesprächstherapie, Moderation, Coaching und Supervision), Kommunikationstrainerin, staatlich anerkannte Erzieherin, Waldorflehrerin« vor.

Über die Planung zur Gründung der Agape-Schule und die Verpachtung des Don Bosco-Heimes in Rodgau Nieder-Roden berichtete die Offenbach Post am 12. Oktober 2021. Hier unterzeichnen Asha Scherbach und Francesca Campo den Pachtvertrag. Screenshot: OP-Online

Ein Foto im Artikel der Offenbach Post zeigt die Beteiligten bei der Unterzeichnung der Nutzungsvereinbarung für das Gelände des Don-Bosco-Heims. Neben dem Pfarrer sitzen die Vertreterinnen der Agape-Schulinitiative: Asha Scherbach und Francesca Campo. Campo ist Antiquitätenhändlerin mit (Geschäfts-)Adressen in Friedrichsdorf im Taunus und in Mainaschaff bei Aschaffenburg. Ihre Privatanschrift lautet jedoch: Taunusstraße 18 in Rodgau, Stadtteil Nieder-Roden-Rollwald. Es ist das Einfamilienhaus der Familie Miletitsch, hier wohnt auch Michael Miletitsch.

In der Atlantis Kultur und Kinderhilfsstiftung war Francesca Campo ebenfalls aktiv. Ein Foto, gepostet am 18. August 2021, zeigt sie auf dem Atlantis-Gartengelände am Lagerfeuer sitzend. Und im internen Gruppenchat von Atlantis schickte Michael Miletitsch einen Link zum Artikel in der Offenbach Post am 12. Oktober 2021 über die geplante Agape-Schule und plaudert dabei aus dem Nähkästchen: »Daran Arbeitet zb. unsere liebe Francesca, die auch Mittwochs oder Samstags bei uns auf den treffen ist.« Darüber, ob auch Asha Scherbach zum engeren Kreis von Miletitsch gehört, gibt es keine gesicherten Erkenntnisse.

Auf der Homepage der Agape-Schule steht, man sehe Erwachsene, Eltern und Lehrkräfte als Schaffende und Lernende, die Kindern bewusste Vorbilder sein wollen. Realität ist jedoch, dass mit Francesca Campo eine Beteiligte der Schule mit dem Antisemiten und Reichsbürger Michael Miletitsch einen »Lernort« gestaltet hat und offensichtlich mit ihm unter einem Dach lebt.

Francesca Campo auf dem Briefkasten des Einfamilienhauses der Familie Miletitsch, in dem auch Michael Miletitsch wohnt und am Lagerfeuer des Atlantis-Schrebergartens

Das Sternenfestival in Rodgau-Nieder-Roden

Eine Einladung zum »Sternenfestival« am 25. März 2023 in Rodgau-Nieder-Roden findet sich auch Anfang März 2023 in der Telegram-Gruppe »Familienlandsitz & Siedlungsforum«. In dieser Telegram-Gruppe sammeln sich bundesweit Anhänger*innen der Anastasia-Siedlungsidee. Eingestellt hat diese Einladung das Gruppenmitglied Michael Miletitsch. Das Festival wird hauptsächlich in Freundeskreisen beworben, Besucher*innen sind angehalten sich via Telegram über eine eigens eingerichtete Gästeliste anzumelden.

Das »Sternenfestival« ist eine kleine Esoterikmesse mit musikalischer Untermalung. Es findet alle paar Monate statt. Das Foto zeigt das »Sternenfestival« am 25. März 2023 auf dem Gelände des Don-Bosco-Heimes in Rodgau-Nieder-Roden. Foto: ASVI

Es ist auch kein Festival im eigentlichen Sinne, sondern vielmehr eine kleine Esoterikmesse mit musikalischer Untermalung durch ein Gitarren-Duo und Techno-Musik sowie mit Kontaktbörse, Essensversorgung und abendlichem Lagerfeuer. Der Eintrittspreis von 15€ ist happig. Die Besucher*innen, bis zum Abend ca. 80 an der Zahl, sind aus dem gesamten Rhein-Main-Gebiet angereist, sie kennen sich zum größten Teil. Acht Stände bieten üblichen esoterischen Kram an, überall liegt und hängt Werbung für Dienstleistungen, die irgendetwas heilen oder zumindest das Wohlbefinden steigern sollen. Eine »Ute« sucht per Aushang eine »echte Dorfgemeinsam schafft« und hat ein Schild umhängen, auf dem sie Bachblüten-Seminare offeriert.

Eine Sibille Muth aus Schwalbach am Taunus, die sich »Mentorin und Coach für ganzheitliche Gesundheitsbildung« nennt, bewirbt per Aushang ihre Seminare der »Neuen Germanischen Medizin«. Dies meint die berüchtigte Germanische Neue Medizin (GNM). In dieser wird in klassisch esoterischer Manier davon ausgegangen, dass Krankheiten von inneren Konflikten ausgelöst werden. Folglich würden sich sogar Krebserkrankungen nach der Konfliktlösung von selbst heilen, wobei Chemotherapien den Heilungsprozessen oft schaden würden. Erfinder und Guru der GNM ist der 2017 verstorbene Ryke Geerd Hamer. Er war Reichsbürger, Verschwörungsideologe und leugnete den Holocaust. Er glaubte sich von einer »jüdischen Loge« verfolgt und sah in der Schulmedizin eine Waffe der »Talmud-Zionisten«, um die nichtjüdische Bevölkerung umzubringen. Laut seinen Anhänger*innen ging Hamer auch davon aus, dass es sich bei Impfungen »um Chipimplantationen handelt, mit denen man den Geimpften lebenslang observieren kann.«

Auf dem Sternenfestival am 25. März 2023 wurde unter anderem für die antisemitische Germanische Neue Medizin (auch: Neue Germanische Medizin) geworben.

An einem Stand des »Sternenfestivals« wird Chlordioxid-Lösung zum Verkauf und zum Trinken angeboten. Chlordioxid ist ein gesundheitsschädliches Bleichmittel, dem in Teilen der Esoterikszene eine heilende Wirkung angedichtet wird. Im Verlauf der Pandemie wurde es gar als »Wundermittel« gegen COVID-19-Infektionen angepriesen. Insbesondere Johann Biacsics, ein bekannter Impfgegner aus Österreich, war von dem Mittel überzeugt. Als er am 11. November 2021 mit einer akuten Corona-Infektion in ein Krankenhaus eingeliefert wurde, verweigerte er dort die Behandlung, um sich zu Hause mit Chlordioxid zu therapieren. Zwei Tage später hatte er COVID tatsächlich überwunden, denn dann starb er.

Für die Essensversorgung sorgt die Gruppe T3chno f4r Fr33dom, ein Kreis technobegeisterter Corona-Leugner*innen und Impfgegner*innen, die mit ihrer Musik seit Anfang 2022 im ganzen Rhein-Main-Gebiet die Aufzüge der rechten Verschwörungsszene begleiteten. Überhaupt sind viele Personen da, die von diesen Aufzügen bekannt sind, unter anderem die Anmelderin mehrerer Frankfurter Demonstrationen dieses Spektrums. Unter den Anwesenden sind jedoch auch Personen, die man aus anderen Zusammenhängen kennt: Vom linken Widerstand der 1980er, 1990er und 2000er Jahre, unter anderem von den früheren Kämpfen an der Startbahn West des Frankfurter Flughafens. So manche von ihnen haben in der Verweigerung der Corona-Maßnahmen ihr Rebellentum wiederentdeckt.

Michael Miletitsch eilt die ganze Zeit beschäftigt über das Gelände, kümmert sich um den Sound und die Beleuchtung und schleppt das Holz für das Lagerfeuer herbei. Er hat nur kurz Zeit, Gäste willkommen zu heißen, Viele kennen ihn und grüßen ihn. Es ist eindeutig sein Freundes- und Bekanntenkreis, der hier und heute zusammen kommt. Auch Francesca Campo ist unter den Gästen, zusammen mit Mirjam F. steht sie in einer Gruppe, die von Michael Miletitsch herzlich begrüßt wird.

Das nächste »Sternenfestival« sollte eigentlich am 17. Juni 2023 im Freizeitzentrum Münster bei Dieburg stattfinden. Doch der Vermieter, die Gemeinde Münster, kündigt den Veranstalter*innen wenige Tage davor den Ort. Michael Miletitsch ist erbost. Im Atlantis-Kanal schreibt er: »Bin mit in der Organisation und stelle die ganze Technik. Ärgert mich sehr das die Gemeinde das abgesagt und kein Grund nennen wollte. Wahrscheinlich wurde da eine Reichsbürger VA gemeldet. Ist nicht das erste mal bei uns«. Es scheint sich mittlerweile herumzusprechen, dass es sich beim Sternenfestival um kein harmloses Hippietreffen handelt.

Anthroposophie und Esoterik

Es wäre zu einfach, das Problem auf Personen wie Werner Jonas und Michael Miletitsch zu reduzieren. Extreme Rechte und Antisemit*innen sind in den Milieus der Verschwörungsgläubigen und der Esoterik keine Trittbrettfahrenden, sondern dort fest verhaftet. Verwundern kann das nicht, denn es gibt eine auffallende inhaltliche Schnittmenge von rechten Ideologien und esoterischen Welt- und Menschenbildern.

Die Aufzüge der rechten Verschwörungsszene haben haben ein breites Themenspektrum. Neben der Leugnung oder Verharmlosung der Corona-Pandemie richten sie gegen die Unterstützung der Ukraine und für Putin, gegen »Gender-Irrsinn« und für angeblich »natürliche« Zweigeschlechtlichkeit, gegen »Klimakleber« und gegen die »Rothschilds«, die die Strippen der Neuen Weltordnung ziehen würden. Doch sind die Aufzüge mancherorts von der Esoterik-Szene geprägt, deren Symbolik und Erscheinungsbild so gar nicht zur gängigen Vorstellung einer rechten Demonstration passt. Foto aus Frankfurt am 12. März 2022. Foto: ASVI

Esoterik umfasst ein breites Spektrum von geheimen Lehren jenseits der Wissenschaft, in denen Spiritualität (das Gefühlte, das Seelische) über Rationalität gestellt wird. Der Esoteriker Rudolf Steiner, der Begründer der Anthroposophie, schrieb, »dass es hinter der sichtbaren Welt eine unsichtbare, eine […] für die Sinne und an diese Sinne gefesselte Denken verborgene Welt gibt und dass es dem Menschen […] möglich ist, in diese verborgenen Welten einzudringen.«

Esoterik wirkt auf viele Menschen weltoffen, wenngleich versponnen. Doch ist die Kritik an ihr vielfältig, denn Esoterik ist im Kern wissenschaftsfeindlich und antiaufklärerisch. Sie basiert auf dem Glauben, dass der Mensch einer kosmischen und/oder natürlichen Ordnung unterworfen sei. Die Sicht auf Mensch und Gesellschaft ist biologistisch und antiegalitär. Den Geschlechtern werden »typische« Rollen und Fähigkeiten zugeschrieben. Bestimmte Ethnien werden als »Naturvölker« idealisiert, ihre Kultur (bzw. das, was man dafür hält) wird zur eigenen Sinnstiftung adaptiert und kommerziell ausgebeutet. Antisemitische Verschwörungsliteratur, wie zum Beispiel die Machwerke des Autors Udo Holey (»Jan van Helsing«), verkauft sich in esoterischen Szenen massenhaft.

Die einflussreichste esoterische Strömung im deutschsprachigen Raum ist die Anthroposophie. Zum ihrem weitreichenden Netzwerk gehören Wirtschaftsunternehmen (Weleda, Wala, Demeter), Banken, Landwirtschaftsbetriebe, Krankenhäuser, Arztpraxen und Schulen. Die anthroposophischen Waldorfschulen sind insbesondere im links-alternativen »Bildungsbürgertum« beliebt, denn sie versprechen Lernen ohne Leistungsdruck und Noten – und ohne Kinder aus ökonomisch benachteiligten Schichten, die als »lernschwach« markiert werden und angeblich das Niveau senken würden.

Die Anthroposophie wurde vom österreichischen Hellseher und Okkultisten Rudolf Steiner (1861-1925) frei erfunden. In seinen Schriften verwendet er an mehreren grundlegenden Stellen rassistische und sexistische Zuschreibungen und deterministische Weltbilder. Er entwarf eine Gesellschaftsform der »Sozialen Dreigliederung«, die auf Biologismus beruht. Die Idee der »Sozialen Dreigliederung« findet sich beispielsweise im Parteiprogramm der Partei DieBasis, die 2021 im Netzwerk der Corona-Leugner*innen und Impfgegner*innen entstanden war.

Was Esoterik, Anthroposophie, Impfgegner*innen und extrem rechten Strömungen eint, beschreibt Oliver Rautenberg, ein Kenner der Szene, mit folgenden Worten: »Sie sind alle im Kern wissenschaftsfeindlich und verschwörungsgläubig. Und das ist ein Kernelement der Anthroposophie, die für mich selber ein Verschwörungsmythos ist. Die Anthroposophie ist so eng verwoben mit Alternativmedizin, mit Impf-Skepsis, mit einem Glauben an den Zusammenhang von allem mit allem, einer Weltordnung, hinter die man schauen kann, wenn man weiß, wer da die Strippen zieht.« (Interview in Medwatch.de, 30.11.2020)

Fazit

Der prägende Einfluss des Esoterik-Milieus in der rechten Verschwörungsszene lässt sich flächendeckend beobachten. Auch extreme Rechte und fanatische Antisemit*innen gestalten in dieser Szene aktiv mit. Die Beteiligten haben gemeinsame ideologische Nenner: Die Einteilung der Welt in gut und böse, verbunden mit dem Glauben an Verschwörungen und an »dunkle Mächte«, die »uns« beherrschen würden. Und die Überzeugung, das alles Geschehen auf der Welt einem Plan folgen würde, in dem nichts zufällig oder gegenläufig sein kann. Logische Konsequenz ist ein geteiltes Feindbild, das mal mehr, mal weniger jüdisch chiffriert ist.

Die Beteiligten verstehen sich als eine »Wahrheitsbewegung«, als ein verschworener Kreis der Wissenden und Widerständischen. In ihrer Parallelwelt befeuern sie sich mit ständig neuen Enthüllungen und ziehen sich gegenseitig immer tiefer in den Sog der Verschwörungsmythen. Viele von ihnen sind für rationale Argumente und Ansprachen nicht mehr erreichbar.

Es muss verhindert werden, dass die »Elterninitiative« um Michael Miletitsch einen neuen Ort für ihre Projekte findet. Miletitsch, Francesca Campo und allen Personen, die die extrem rechten Aussagen von Miletitsch kritiklos hinnehmen oder gar teilen, darf keine Verantwortung für Kinder und Jugendliche gegeben werden.

Dass für das Sternenfestival und andere Treffen dieser Szene Räume zur Verfügung stehen, muss auch in Zukunft konsequent verhindert werden, egal, unter welchem Namen diese Treffen stattfinden werden.

Die Agape-Schule darf nicht mit öffentlichen Mitteln gefördert werden. Am Besten wäre es, sie gar nicht erst zu eröffnen.


Dieser Artikel wurde zuerst veröffentlicht auf dem Blog der Initiative Aufklärung statt Verschwörungsideologien.