Von Aluhüten und Anonymous-Masken

Corona-Kundgebung am 30. Mai 2020 auf dem Frankfurter Opernplatz. © Protestfotografie Frankfurt
Corona-Kundgebung am 30. Mai 2020 auf dem Frankfurter Opernplatz. © Protestfotografie Frankfurt

Während der CoViD-19-Pandemie wurden zahllose Veschwörungsmythen zum Ursprung und der »Motivation« hinter dem globalen gesundheitlichen Notstand verbreitet. Auch in Frankfurt gingen teils hunderte auf die Straße – und fühlten sich im Widerstand. Ein Überblick über die Entwicklung und den aktuellen Zustand der verschwörungsideologischen Szene.

Sie tragen Alu-Bömmel, Anonymous-Masken oder Grundgesetze. Sie wähnen sich im Widerstand gegen die kommende Diktatur. Sie bezeichnen Mund-Nasen-Bedeckungen als »Maulkörbe«. Die Rede ist von jenen verschwörungsideologischen Gruppierungen, die während der Phase gravierender Kontaktbeschränkungen jeweils samstags in den deutschen Innenstädten die Revolution probten. Hier mischten sich Mythen von der antisemitischen Weltverschwörung, Fake News und Lügen mit dem sehr nachvollziehbaren Gefühl der Ohnmacht angesichts einer globalen Pandemie.

Es scheint paradox: hier demonstrieren Kleinbürger*innen gegen mangelnde Meinungs- und Versammlungsfreiheit, während sie selbst diese in demselben Moment ausüben und von Ordnungsbehörde und Polizei dabei weniger eingeschränkt werden als bei jeder angemeldeten linken Kundgebung. Die Corona-Verordnungen der Bundesländer trieben hier Menschen auf die Straße, die teils zuletzt bei der Pegida-Bewegung auf einer Demo waren – oder noch nie. Einige von ihnen kommen sogar aus linken Kreisen, aus der Friedensbewegung oder globalisierungskritischen Initiativen etwa. Nun demonstrieren sie Seit an Seit »für Grundrechte« oder »für Demokratie«.

Die Seuche, das sind immer die anderen

Unter ihnen: um ihre Existenz besorgte Künstler*innen, Impfgegner*innen, Globalisierungsgener*innen, Esoteriker*innen, christlich-fundamentalistische Freaks, Anhänger*innen der Reichsbürgerbewegung, Rechtspopulist*innen, Neonazis. Das Spektrum derer, die in den letzten Wochen und Monaten auf derartigen Demos auftauchten, ist weit. Ursprünglich initiiert vom rechten Medienaktivisten Henryk Stöckl versuchten auch AfD-Mitglieder bereits früh zu intervenieren. Dagegen scheint das Häuflein, das im August übrig blieb, geradezu harmlos.

Frankfurt, Samstag, Opernplatz

Die »Corona Rebellen« organisieren sich über Telegram. Sie veranstalten Kundgebungen, brechen aber auch zu unangemeldeten »Spaziergängen« auf. Dort werden verschiedene Ressentiments bedient: gegen »die da oben«, die »Eliten«, auch gegen Migrant*innen, die angeblich den Virus eingeschleppt hätten. Eine Melange aus Antisemitismus und Rassismus, doch gleichzeitig wird auch nachvollziehbare Kritik geäußert: warum Fabriken nicht vom Lockdown betroffen waren etwa, oder Kritik an den miserablen Arbeitsbedingungen in Schlachthöfen oder den Unterkünften von Erntehelfer*innen. Dazwischen dann wieder: dass die Pandemie nur gestellt sei, um den 5G-Ausbau zu verschleiern, die wahre Ursache der CoViD-Symptome. Inzwischen hat sich der Termin samstags um 14 Uhr am Frankfurter Opernplatz eingebürgert. Hier treffen sich die verbliebenen Reste der Bewegung und firmieren inzwischen unter der Bezeichnung Querdenken69 (nach der Telefonvorwahl 069).

Alles begann mit einer Heidelberger Rechtsanwältin. Beate Bahner, AfD-nahe Medizinrechtlerin, rief zum Widerstand gegen die von den Bundesländern erlassenen Corona-Verordnungen auf. Ihr Antrag wurde vom Bundesverfassungsgericht abgelehnt, doch sie rief ihre Anhänger*innen auf, sich fortan jeden Samstag um 15:30 Uhr auf großen Plätzen in allen Städten zu versammeln und »für die Unantastbarkeit des Grundgesetzes« zu protestieren. Wenige folgten dem Aufruf, unter ihnen waren jedoch bereits so bekannte Gesichter wie der extrem rechte YouTuber Henryk Stöckl, der in der Anfangszeit den Protest in Frankfurt maßgeblich koordinierte.

In den folgenden Wochen bot sich stets dasselbe Bild: Stöckl, einstiges Mitglied der Jungen Alternative und nun Fake-News-Aktivist, streamte einige Stunden live vom Platz an der Alten Oper, interviewte das versprengte Dutzend, das sich dort zum Protest eingefunden hatte, und zog wieder ab. Der Immobilienkaufmann aus der Rhein-Main-Region betonte die angeblich diktatorischen Züge der Corona-Verordnungen. In geschichtsvergessener Manier bezeichnete er diese als »Ermächtigungsgesetz« und verharmloste damit den deutschen Nazifaschismus.

Die Verschwörungsideolog*innen begannen zusehends, sich zu organisieren, vor allem über Telegram-Gruppen. Mehrere konkurrierende Organisationen entstanden: das Parteigründungsprojekt Widerstand 2020 (später lokal als MainFrankfurtVerbindet), Gruppen wie Beweg was in Dir, Corona Rebellen oder Querdenken69 (nach der Frankfurter Telefonvorwahl 069) luden zu zwischenzeitlich bis zu 4 parallel stattfindenden Kundgebungen und Spaziergängen. Zwischenzeitlich organisierte auch Zahid Khan (AfD) eine Kundgebung am Roßmarkt, die im ganzen Stadtgebiet per Flyer beworben wurde. Extrem rechte AfDler waren eingeladen – schließlich kamen weniger als 20 Personen.

Inzwischen ist es nur noch die Gruppe Widerstand 4.0 – Frankfurt 5G-frei, die sich samstags an der Alten Oper versammelt. Einige Dutzend Menschen lauschen hier wirren Reden, zuweilen spazieren sie ohne nennenswerte Außenwirkung anschließend durch die Innenstadt. Was die Agenda ist, nachdem nun viele der Corona-Beschränkungen zurückgenommen wurden, bleibt oft offen.

Alte Bekannte

Was sind das für Leute, die zu diesen Kundgebungen und »Spaziergängen« erscheinen? Es sind größtenteis weiße Deutsche mittleren Alters, davon viele Paare. Die soziale Struktur entspricht etwa den Fragida-Aufmärschen von 2016: es sind weniger organisierte Rechte, sondern vielmehr die berühmten »besorgten Bürger«, die hier ihre dumpfen Ressentiments gegen »die da oben«, »die Eliten« oder »die Fremden« auf die Straße tragen.

Kein Wunder also, dass auch alte Bekannte vor Ort sind: Heidi Mund etwa, einstige Fragida-Organisatorin, tauchte bereits Ende April auf den unangemeldeten Versammlungen auf dem Opernplatz auf, zu denen Henryk Stöckl dort aufgerufen hatte. Oder auch Hajo Köhn, vormals bei den globalisierungskritischen Initiativen Attac und Occupy sowie der äußerst zwielichtigen Initiative Neue Geldordnung und dort bereits wegen verkürzter Kritik aufgefallen, und nun bei Widerstand2020, später MainFrankfurtVerbindet, federführend mitmischte.

Carsten Härle, extrem rechter AfDler aus Heusenstamm, lief ebenso mit wie Michael Beyerbach, der aus der AfD-Kreistagsfraktion im Hochtaunuskreis geflogen war, nachdem er in einem Facebook-Post gegen die Presse gehetzt hatte. Jetzt schwang er sich zum Wortführer der Frankfurter »Corona Rebellen«-Telegramgruppe auf.

Es ist selbstredend kein Zufall, dass sich extreme Rechte auf den »Hygiene-Spaziergängen« tummeln: hier werden Verschwörungsideologien verbreitet, die Schnittmengen zu rechten Weltbildern aufweisen. Verschwörungsideologien weisen oft antisemitische (etwa eine angebliche Steuerung der Pandemie durch Jüd*innen) oder rassistische Motive (etwa indem Migrationsbewegungen für die Pandemie verantwortlich gemacht werden oder zugeschriebene Eigenschaften im Sinne eines antiasiatischen Rassismus) auf. Zudem wird oft der historische Nazifaschismus relativiert (indem beispielsweise die Corona-Verordnungen der Bundesregierung als »Ermächtigungsgesetz« bezeichnet werden).

Am 2. Mai 2020 war ein Mann in Frankfurt unterwegs, der im Stile eines »Judenstern« aus dem Nazifaschismus einen gelben Davidstern mit der Aufschrift »zu Impfen« trug. Damit relativiert er die faschistische Tyrannei und den millionenfachen Massenmord an Jüd*innen während des Nazifaschismus. Einige Wochen später zeigten zwei junge Männer ein Transparent mit der Aufschrift »Heimatschutz statt Mundschutz«, offenbar sympathisieren sie mit den neofaschistischen Identitären, die ein gleichartiges Banner wenige Tage zuvor Wien gezeigt hatten.

Regressive Kritik, überall

Einziger gemeinsamer Nenner der verschiedenen Gruppierungen, die zwischenzeitlich in Frankfurt demonstrierten: die Ablehnung der staatlichen Maßnahmen gegen die Pandemie. Die Motive dahinter sind freilich höchst verschieden: Sorgen um die eigene Existenz etwa, die durchaus verständlich sind, sich aber mit hanebüchenen Verschwörungsmythen verbinden. Slogans wie »Gib Gates keine Chance« oder Schilder gegen die » Rothschilds und Rockefellers« zeigen, wie hier antisemitische Codes verbreitet werden. Dabei geben sich die Demonstrierenden den Gestus der »Querdenker«, die das große Spiel durchschaut zu haben glauben, gegen »Eliten« und die ohnehin lügnerischen »Mainstream-Medien«. Anerkannte Experten wie der Virologe Christian Drosten zählen da nichts, stattdessen werden »alternative« Medien und der »gesunde Menschenverstand« gegen dessen wissenschaftliche Expertise in Stellung gebracht. Es sind die von Adorno beschriebenen »konformistischen Rebellen«, die sich gegen »das System« erheben und doch wollen, dass alles so bleibt, wie es ist.

Diese Form regressiver Kritik ist selbstredend nicht alternativlos. Die kapitalistische Krisenpolitik, die Großindustrie von Corona-bedingten Schließungen ausnahm und die Lufthansa rettete, statt im Gesundheitssystem arbeitende Menschen zu entlasten, ist falsch und war nie richtig. Zu wenig finanzielle Hilfen für ohnehin Prekarisierte, für den sozialen Bereich oder Kulturbetriebe zeigen, dass falsche Prioritäten zugunsten der »Rettung« einiger Großunternehmen gesetzt wurden. Der Linken ist es in der Krise bislang nicht gelungen, wirksamen Protest dagegen zu organisieren, auch wenn es – etwa unter dem Hashtag #nichtaufunseremrücken oder im Rahmen des 1. Mais – durchaus gute Ansätze gab. Schließlich gilt, wie Daniel Kulla formulierte: »Die beste Entschwörung ist Klassenkampf«!

Im Protest versunken

Nachdem am 16. Mai 2020 erstmals antifaschistische Gruppen unter dem Motto »Aufklärung statt Verschwörungsideologien« zu Gegenprotesten in die Innenstadt mobilisierten, stellten sich in den folgenden vier Wochen jeden Samstag jeweils hunderte den »Hygiene-Spaziergängen« entgegen. Besonderer Fokus der Mobilisierungen lag dabei darauf, »Spaziergänge« zu unterbinden, den Hetzer*innen keine ruhige Minute zu gönnen und zugleich Aufklärungsarbeit über extrem rechte Akteur*innen innerhalb der »Corona Rebellen« zu isolieren, über die per Flyer und Plakat informiert wurde.

Schließlich waren es insbesondere die antirassistischen Proteste der »Black Lives Matter«-Bewegung, die die verschwörungsideologischen Kundgebungen und Demonstrationen aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwinden ließen. Teilweise standen sie einander direkt gegenüber und Teilnehmende der BLM-Demos unterstützten den direkten Protest gegen Verschwörungsideologien und rechte Hetze.

Es ist nicht einfach

Vereinfachte Welterklärungen sind Teil des Problems und nicht der Lösung. Im Falle einer zweiten Welle der Pandemie mit erneuten Einschränkungen des alltäglichen Lebens könnte es auch zu einem neuen Aufkommen der verschwörungsideologischen »Protest«-Kundgebungen kommen. Ob sie dann mehr Zulauf haben werden, bleibt abzuwarten; möglicherweise wird auch lediglich die Gleichgültigkeit viele gegenüber den Maßnahmen wachsen.

Doch die Szene wächst. KenFM, Rubikon, Attila Hildmann und Xavier Naidoo sind nur einige prominente Akteure, die sich mit dieser Mischung aus extrem rechtem Gedankengut und Verschwörungsgeraune nebst dem Gestus des Subversiven identifizieren. Und beim nächsten unvorhergesehenen Ereignis mit großen Auswirkungen könnten sie wieder ihre eigene Deutung der Dinge aus dem Hut ziehen und versuchen, Verschwörungsideologien zu verbreiten. Beim nächsten Mal wird die Linke besser vorbereitet sein müssen und schneller ihre eigene Politik in die Öffentlichkeit zu tragen in der Lage sein: Heraus aus der Defensive!


Dieser Artikel der Initiative Aufklärung statt Verschwörungsideologien wurde zuerst veröffentlicht in der AStA-Zeitung von Sommer 2020.