»Reichsbürger«-Razzien als PR-Aktion

Heinrich XIII. Prinz Reuß wurde am 7. Dezember 2022 in Frankfurt festgenommen. © Boris Roessler / dpa
Heinrich XIII. Prinz Reuß wird am 7. Dezember 2022 in Frankfurt festgenommen. © Boris Roessler / dpa

Die Ermittlungen gegen die Gruppe des Heinrich XIII. Prinz Reuß

Über die »Reichsbürger«-Gruppe, die im Dezember 2022 bei bundesweiten Razzien ausgehoben wurde, ist viel berichtet worden. Wenig im Blickpunkt standen bisher die Rolle der Medien und die des Verfassungsschutzes, der das Auffliegen der Gruppe als eine PR-Aktion inszenierte. Auch der Frankfurter Markus Krall, der zeitweise als Finanzminister in der »Regierung« der gescheiterten Putschist*innen vorgesehen war, ist eine genaue Betrachtung wert.

Zum Kreis der Gruppe zählten über 100 Personen, 63 von ihnen werden derzeit als Beschuldigte geführt. Einige waren bereits aus der rechten Verschwörungsszene und als rechte Militärs bekannt gewesen. Die Beteiligten hatten einen Staatsstreich geplant. Sie wollten das demokratische Staatswesen durch einen »Rat« ersetzen, der im Inneren durch das Militär und außenpolitisch von Wladimir Putin gestützt werden sollte. Als führende Person gilt Heinrich XIII. Prinz Reuß, der einen Wohnsitz und ein Immobilienunternehmen in Frankfurt am Main hat.

Die Rolle der Medien

Bei den Razzien am 7. Dezember durchsuchten 3.000 Polizist*innen 162 Anwesen und Wohnungen und nahmen 25 Personen fest. Als die Spezialkommandos in den frühen Morgenstunden bei den Verdächtigen eindrangen, hatten Pressevertreter*innen an einigen Orten des Geschehens bereits Stellung bezogen. Die Linkspartei-Abgeordnete Martina Renner weist darauf hin, dass die Razzia »seit mindestens einer Woche ein offenes Geheimnis« gewesen sei. Einzelne Medien waren im Vorfeld gezielt über Orte und Zeitpunkt der Razzien informiert worden. Aus ermittlungstaktischer Sicht hätte der Einsatz natürlich mit viel weniger Tamtam durchgeführt werden müssen. Denn je breiter Informationen im Vorfeld gestreut werden, umso größer ist die Gefahr, dass diese zu den Verdächtigen durchdringen, die sich daraufhin absetzen oder Beweismittel beiseite schaffen können — was bei den Razzien womöglich auch der Fall war. Doch kaum ein Medium hinterfragte die Rolle, die sie in diesem Spektakel bereitwillig einnahmen. Das Foto des Prinz Reuß, wie er in Sakko und Handschellen zum Polizeiwagen gebracht wird, wurde zum Sinnbild des Staates, der gegen seine »Extremisten« durchgreift. In den Sondersendungen klopften sich Politiker*innen und Inlandsgeheimdienst gegenseitig auf die Schultern. Thomas Haldenwang, Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz (VS) war, obwohl er außer Selbstlob wenig zu sagen hatte, plötzlich Experte Nummer Eins zum Thema »Reichsbürger«.

Gegen die Staatsfeinde

Dabei hatte der Inlandsgeheimdienst das Spektrum der »Reichsbürger« viele Jahre lang verharmlost, während antifaschistische Initiativen konkrete Fakten lieferten. Im Frühjahr 2021 ersann sich der VS eigens für die »Reichsbürger« die Kategorie »Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates«. Die Begrifflichkeit blendet die Ideologie vieler »Reichsbürger«-Gruppen aus, die seit Jahren hasserfüllten Antisemitismus verbreiten. Dies scheint weniger relevant zu sein als die Tatsache, dass diese Gruppen den Staat nicht anerkennen wollen. So hielt Reuß im Jahr 2019 auf einem Wirtschaftskongress in Zürich eine Rede, in der er der jüdischen Familie Rothschild unterstellte, Kriege auf der ganzen Welt finanziert zu haben, um »das Geld- und Verschuldungsgeschäft durch die Abschaffung der Monarchien etablieren zu können«. Freimaurer wiederum hätten die russische Oktoberrevolution angezettelt, um an die Schätze des Landes zu kommen. Zudem fällt auf, dass vom VS ein politisches Spektrum in Gänze ignoriert wird, das sich in vielfacher Hinsicht staats-, verfassungs- und demokratiefeindlich äußert: die sogenannten rechten Libertären, deren »freiheitliche« Idee darauf beruht, dass sich Besitzende und Reiche sozialen Verpflichtungen entziehen und andere Menschen ohne Regulierung und staatliche Kontrolle beherrschen können. Sie verfolgen Pläne, sich außerstaatliche Sonderzonen zu schaffen, in denen sich eine über Besitz und Geld verfügende, herrschende Elite eigene Gesetze gibt. Ein Sprecher dieses Spektrums ist Markus Krall. Im »Rat« des »Reichsbürger«-Staates von Prinz Reuß war er zeitweise als Finanzminister vorgesehen gewesen. Bei den Razzien am 7. Dezember wurde auch seine Wohnung im Frankfurter Nordend durchsucht.

Der verhinderte Finanzminister

Markus Krall spricht sich für eine Wahlmonarchie aus und dafür, dass Empfänger*innen staatlicher Transferleistungen kein Wahlrecht mehr haben sollten. Er ist ein sogenannter Crash-Prophet (vgl. LOTTA #79, S. 44-46). Sein Geschäft besteht darin, bevorstehende Wirtschaftskrisen an die Wand zu malen und zum Schutz des Vermögens für die Geldanlage in Edelmetallen, Goldminen und Rüstungsunternehmen zu werben. Krall war seit 2019 Sprecher der Geschäftsführung der Degussa Goldhandel GmbH, die ihn am 28. November, neun Tage vor den Razzien, mit sofortiger Wirkung entließ. An einen zeitlichen Zufall mag man nur schwer glauben. Im Jahre 2018 hatte Krall den Verein Atlas-Initiative für Recht und Freiheit ins Leben gerufen, dessen Kernforderungen ein staatlich unregulierter Markt und die Abschaffung des Sozialstaates sind. Im Jahr 2021 kam es im Verein zu Querelen, als aufflog, dass Vorstandsmitglieder sich oder ihnen nahestehende Unternehmen durch Vereinsgelder begünstigt hatten. Im weiteren Verlauf schieden der Galerist Thomas Punzmann und der Rechtsanwalt Hanns-Christian Salger, die beide aus der Frankfurter AfD kommen, aus ihren Ämtern aus, verblieben jedoch im Verein. Ausgeschlossen wurde das Vorstandsmitglied Wolfgang Mousiol, dem die Verfehlungen hauptsächlich angelastet wurden. Mousiol war noch 2019 Leiter des Fachausschusses »Geld- und Währungspolitik« im hessischen AfD-Landesvorstand. Mindestens einmal hat sich Krall mit Reuß und anderen Personen des »Rats« getroffen, doch er bestreitet, in die Umsturzpläne eingeweiht gewesen zu sein. Tatsächlich sollen die Verschwörer nach dem Gespräch Abstand zu Krall genommen haben, der Frankfurter Edelmetall-Unternehmer soll ihnen »verrückt« vorgekommen sein.

Ermittlungen gegen eine terroristische Vereinigung

Ob der Staatsstreich auch nur die geringste Aussicht auf Erfolg gehabt hätte, ist spekulativ. Vieles, was man mittlerweile von den Plänen weiß, scheint eher einem Fantasy-Rollenspiel entsprungen zu sein. So sollte die Esoterikerin Ruth Leiding aus dem südhessischen Heppenheim, die 2018 den örtlichen AfD-Ortsverband gegründet hatte, dem »Rat« als Hellseherin dienen. Doch dies ist kein Grund, die Gruppe als lächerlich abzutun. Sie wollte durch einen Putsch die Demokratie abschaffen und nahm dafür Tote in Kauf. Ihr offensichtlicher Realitätsverlust schützt die Beteiligten nicht vor der Strafverfolgung. Gegen sie wird nun nach §129a StGB (Bildung einer terroristischen Vereinigung) ermittelt. Bis Prozessbeginn werden aber noch etliche Monate vergehen und unklar ist, ob gegen alle derzeit Beschuldigten Anklage erhoben wird. Es könnte der größte Terrorprozess in der Geschichte der Bundesrepublik werden.


Dieser Artikel von Simon Tolvaj wurde zuerst veröffentlicht in der Zeitschrift LOTTA, Ausgabe 91.