Feindbild Links

Am Samstag, dem 22. Februar, 2025 folgten 450 Personen einem Aufruf von Rhein-Main-steht-auf und der Klartext-Bürgerzeitung zu einem Aufzug in Aschaffenburg, der unter dem Motto »Gegen linke Hetze und Gewalt« stand.

Schon im Vorfeld hatte sich abgezeichnet, dass etliche Neonazis teilnehmen würden. So kam es schließlich auch. Mehrere Dutzend Personen gaben sich durch ihr Auftreten, ihre Symbolik und ihre Aussagen als Angehörige der Neonaziszene zu erkennen. Die Neonazigruppe Der Störtrupp (DST) führte ein eigenes Transparent mit, die knapp 30 Personen der DST-Gruppe waren unter anderem aus dem Raum Stuttgart und Karlsruhe angereist. Weitere Neonazis in dem Aufzug lassen sich unter anderem der Partei Der III. Weg zuordnen. Bereits Mittags hatten Neonazis im Aschaffenburger Schöntal-Park, wo am 22. Januar zwei Menschen getötet wurden, einen Kranz niedergelegt und dies in Social Media inszeniert.

Das Medienprojekt Hessencam hat die hoch aggressive, beklemmende Atmosphäre dieses Aufzugs eingefangen. Etliche Teilnehmende waren sichtllich alkoholisiert. Tatsächlich stand die Veranstaltung ganz im Zeichen der AfD. Schließlich war es Michael Hetzel, Führungsperson von RMSA und Vorstandsmitglied im AfD-Bezirk Unterfranken, der diese leitete und im Vorfeld unermüdlich dafür geworben hatte. Überall waren das Logo der AfD und Bekenntnisse zu Alice Weidel zu sehen und zu hören. Eine weitere Rede hielt die AfD-Landtagsabgeordnete Ramona Storm, die ebenfalls zum Führungskreis von RMSA zählt. Mittendrin lärmte wie üblich die Reichsbürger-Trommelgruppe des Wolfgang Burkard.

AfD-Anhänger auf dem Aufzug am 22. Februar 2025 in Aschaffenburg. © dokunetzwerk rhein-Main

Etliche Teilnehmende waren aus den Corona-Protesten und aus dem Spektrum von Querdenken bekannt. Christoph Barth von der Klartext-Bürgerzeitung schwang vom Lautsprecherwagen permanent Reden. Dabei betonte er, dass man sich für die Demokratie und gegen Faschismus und jeden Extremismus richte. In Anbetracht der Realität an diesem Tag stellt sich mehr denn je die Frage, ob diese Abgrenzung nur taktisches Gerede ist oder ob Barth tatsächlich das glaubt, was er erzählt.

Die Realität um ihn herum sah nämlich so aus, dass sich das AfD-Klientel um Hetzel und Storm wie auch das Klartext-Gefolge um Barth keinerlei Distanz zu den Neonazis im Aufzug zeigte, obwohl sich diese offen zu erkennen gaben. Im Gegenteil: Es waren viele, die sich mit ihnen regelrecht verbrüderten und deren Parolen gegen »Zecken« begeistert mitgröhlten. Selbst Rufe wie »Hier marschiert der nationale Widerstand« fanden Anklang. Schließlich bat Michael Hetzel die Neonazis um etwas Zurückhaltung. Ihn störte nicht deren Parolen und Auftreten an sich, sondern vielmehr die anwesenden Pressevertreter*innen, von denen er sich permanent verfolgt und diskreditiert fühlt. Bei den DST-Neonazis warb er um Verständnis: »Das Problem ist hier das Main-Echo, die framen uns jedesmal so dermaßen«. Seiner Meinung nach hat sich die Aschaffenburger Tageszeitung Main-Echo gegen ihn verschworen. Als auf dem von Hetzel organisierten Aufzug am 26. Januar in Aschaffenburg ein Teilnehmer den Hitlergruß gezeigt und die Medien dies aufgegriffen hatten, warf Hetzel auf Telegram dem Main-Echo vor, diesen Vorfall »mit Absicht eingefädelt« zu haben, um ihn »so zum Schweigen zu bringen«.

Aschaffenburg 22. Februar 2025. Die Reichsbürgerin Marika Hartmann aus Hösbach zählt zum Führungskreis von Rhein-Main-steht-auf. Sie hat schon seit längerer Zeit keine Berührungsängste mit Neonazis. © Hessencam

Absurderweise stand der Aufzug am 22. Februar auch unter dem Motto »Gegen Faschismus«, wobei damit der angebliche »Linksfaschismus« gemeint war. Möglicherweise schreckte dies einzelne AkteurInnen aus dem neofaschistischen Spektrum tatsächlich ab. So nahm beispielsweise kein Block der Partei Die Heimat (Ex-NPD) daran teil. Den jungen Neonazis ist diese Widersprüchlichkeit hingegen egal. Sie nutzen jede Bühne, um sich auf der Straße zu inszenieren. So kamen ihre Aktiven bis aus Dortmund, Aachen und Baden-Württemberg angereist, um sich an der Erlebniswelt zu berauschen, die Hetzel, Barth & Co ihnen boten.

Führende FunktionärInnen der AfD-Kreisverbände Aschaffenburg, Offenbach, Hanau und Frankfurt wurden auf dem Aufzug nicht gesichtet. Christoph Barth und seine Klartext-Struktur setzt nunmehr voll auf die AfD und befindet sich nunmehr im festen Bündnis mit ihr und extremen Rechten. Das Problem an diesem Tag war nicht das offene Auftreten der Neonazis. Das Problem sind die AfD und das Spektrum der Klartext-Bürgerzeitung. Die Neonazis machen das Problem nur sichtbarer.

Am 24. Februar gab Michael Hetzel bekannt, Rhein-Main-steht-auf aufzulösen bzw. in neue Hände zu geben. Dies hatte er in der Vergangenheit bereits mehrfach angekündigt, aber nie umgesetzt. Hetzel schreibt, er sehe nicht mehr ein, seinen »Kopf für alle hinzuhalten«. Hintergrund ist unter anderem die Zahlung eines Strafbefehls von 5000 Euro, bei dem er zudem von seiner Anwaltskanzlei »über den Tisch gezogen« worden sei, so dass er nun insgesamt 7800 Euro aufbringen müsse. Über eine Spendenaktion hatte er schon am folgenden Tag das noch fehlende Geld eingesammelt. Daraufhin ruderte er prompt zurück. Am 25. Februar schrieb er, dass er davon ausgehe, »dass es sehr bald zu Bürgerkriegsähnlichen Zuständen kommen könnte« und dass er sich deshalb »noch nicht ganz zurückziehen« und »einen neuen, fordernderen und aggressiveren Ton angeben« werde.

Weitere Bilder des Aufzugs vom 22. Februar 2025 finden sich auf dokunetzwerk rhein-main.