Prozess gegen Mitglied der »Vereinten Patrioten« in Frankfurt gestartet


Rolle des Umfelds des Angeklagten bisher nicht im Fokus

Seit dem 30. Agust 2024 läuft vor dem Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt ein weiteres Verfahren gegen ein mutmaßliches Mitglied der Reichsbürger-Gruppe Vereinte Patrioten. Dem 62 jährigen Inhaber eines Handwerkbetriebs Wilhelm Pülm aus Gorxheimertal (Landkreis Bergstraße) wird die Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens und die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung vorgeworfen. Die Gruppe soll geplant haben, in mehreren Stufen bürgerkriegsähnliche Zustände mit Gewalt in Deutschland auszulösen, um die Demokratie zu beseitigen und die Regierung zu stürzen. Dazu sollte zunächst ein großflächiger Stromausfall im gesamten Bundesgebiet herbeigeführt und der damalige SPD-Gesundheitsminister Karl Lauterbach öffentlichkeitswirksam aus einer Talkshow entführt werden. Nach dem Sturz der Bundesregierung war eine »konstituierende Versammlung« nach dem Vorbild des Deutschen Reiches von 1871 geplant, um einen neuen Staat auszurufen. Gegen die fünf Hauptangeklagten läuft derzeit das Verfahren vor dem OLG Koblenz.

Konkret soll Pülm an mindestens einem Treffen der Vereinigung teilgenommen und die Tatpläne maßgeblich mitausgearbeitet haben. Zudem hätte seine Garage als Zwischenlager für Waffen genutzt werden sollen. Außerdem hätte er im Falle eines erfolgreichen Umsturzes zusammen mit zwei der Hauptangeklagten mit einem Schiff über die Ostsee nach Russland fahren sollen um den neuen Staat anerkennen zu lassen. Pülm war zusätzlich als Mitglied der »Wahlkommission« vorgesehen, welche Personen für eine »Verfassungsgebende Versammlung« finden sollte. Diese Personen mussten die deutsche Staatsangehörigkeit im Sinne des »Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz (RuStAG) von 1913« besitzen. Demnach hätten sie nachweisen müssen, dass ihre »väterliche Linie« bis vor dem Jahr 1913 im »Deutschen Reich« geboren wurde. Der Glaube an dieses völkische Abstammungsprinzip ist im Reichsbürger-Milieu gängig.

Gleich zu Beginn des Verfahrens ließ sich Pülm inhaltlich ausführlich ein und gab die gegen ihn erhobenen Anklagepunkte weitgehend zu. Die Strategie der Verteidigung ist bisher, Pülm als einen ruhigen und in sich gekehrten Menschen darzustellen, der in seiner Jugend durch den eigenen Vater körperlich misshandelt wurde und Gewalt strikt ablehnt. Durch die Corona-Pandemie sei er in finanzielle Schwierigkeiten geraten und habe den Halt verloren. Auf der Suche nach einem Ausweg aus seiner finanziellen Situation sei er am Computer mit der Reichsbürger-Ideologie in Kontakt gekommen und habe sich radikalisiert. Zudem sei er zu dieser Zeit dauerbekifft und nicht mehr in der Lage gewesen, Situationen rational einzuschätzen. In der »Corona-Selbsthilfegruppe« Kraftreich um die Theaterpädagogin Marion Wollenweber, die während der Pandemie in Hirschberg an der Bergstraße lebte, habe Pülm schließlich einen der späteren Hauptangeklagten Thomas Oldenburg aus Neustadt an der Weinstraße kennengelernt. Dieser habe Pülm für die Vereinten Patrioten rekrutiert und nach und nach in deren Pläne eingeführt. Bis zum Schluss sei Pülm jedoch nicht klar gewesen, worauf er sich da genau einlasse. Er habe das Ausmaß der Pläne schlicht nicht überblicken können. Oldenburg sei Pülm als »Macher« vorgekommen. Er habe mitgemacht, um Oldenburg zu imponieren und sich »wertgeschätzt« gefühlt, als er in den engeren Zirkel der Vereinten Patrioten aufgenommen wurde. Auch vom ideologischen Kopf der Gruppe, der sächsischen Lehrerin Elisabeth Roth, sei er stark beeindruckt gewesen.

An dieser Darstellung lässt der bisherige Verlauf des Prozesses einige Zweifel aufkommen. So teilt die Ehefrau Pülms dessen ideologischen Vorstellungen, betrieb selbst einen Telegram-Kanal über den sie verschwörungsideologische Inhalte verbreitete und war über die Aktivitäten ihres Mannes informiert. So glaube Pülms Ehefrau nach Aussage eines Zeugen, dass die Erde flach und der Mond ein Raumschiff sei. Auch nahmen die Pülms gemeinsam an den Treffen von Kraftreich teil. Bei der Razzia in ihrem Haus im Oktober 2023 schaffte es Pülms Ehefrau zunächst erfolgreich, das Handy ihres Mannes sowie ihr eigenes vor dem Zugriff der Polizei zu verstecken. Mit ihrem gemeinsamen Freund Uwe L. tauschten die Pülms antisemitische, verschwörungsideologische und NS-verherrlichende Chat-Inhalte aus.

Auch die Bedeutung des weiteren Umfelds von Pülm wird im Prozess bisher unterkomplex behandelt. Vor allem die »Corona-Selbsthilfegruppe« Kraftreich um Marion Wollenweber scheint eine wichtige Radikalisierungsstation für Pülm gewesen zu sein. Hier kamen regelmäßig unterschiedliche Spektren der rechten Verschwörungsszene aus der Region Mannheim, Heidelberg und südliche Bergstraße zusammen, leisteten sich gegenseitig Unterstützung bei Einkäufen oder Besorgungen, tauschten sich aus und hörten einander zu. Die Gruppe hat gemeinsame »Gesundheitstage« und »Theaterabende« veranstaltet. Die Verbreitung von Verschwörungs-Narrativen war unter den Teilnehmen enorm. Wollenweber selbst erklärte im Prozess, sie sei überzeugt, dass die Corona-Impfung die DNA der Geimpften verändere um diese dadurch empfänglicher für die angeblich negativen Auswirkungen von 5G-Strahlung zu machen. Nach Aussage der ehemaligen Gruppenleiterin waren etwa ein Drittel der Teilnehmenden empfänglich für Reichsbürger-Ideologien. Wie Pülm zu der Gruppe kam, konnte im Prozess bisher nicht umfassend aufgeklärt werden. Pülms Freund Uwe L. sagte aus, die Gruppe sei am Ende der zentrale Lebensinhalt von Pülm gewesen. Wollenweber bezeichnete Kraftreich als »Familie«. Auch privat hätten sich die engsten Gruppenmitglieder immer wieder getroffen, so zum Beispiel zu einer Wintersonnenwende-Feier bei Pülm zu Hause, an der auch Thomas Oldenburg teilgenommen habe.

Regelmäßig habe die Gruppe externe ReferentInnen zu Vorträgen zu unterschiedlichen verschwörungsideologischen Themenfelder eingeladen. Häufiger Gast soll der Reichsbürger Hans-Joachim Müller gewesen sein. Müller ist eine bundesweit bekannte Größe der Reichsbürgerszene. Im Falle eines erfolgreichen Umsturzes durch die Vereinten Patrioten war Müller kurzzeitig als potentieller Staatschef des neu gegründeten »Deutschen Reichs« im Gespräch. Wollenweber gab in ihrer Aussage an, dass sie in den Pandemie-Jahren eng mit Müller befreundet gewesen sei. Dies sei auch der Grund, weshalb Oldenburg zu Kraftreich gestoßen sei. Über Wollenweber hätte dieser Kontakt zu Müller aufnehmen wollen.

Auch wie genau der enge Kontakt zwischen Pülm und Oldenburg entstand, bleibt bisher noch offen. Pülm gab in seiner Aussage an, Oldenburg sei ihm explizit durch Wollenweber vorgestellt worden. Diese hätte regelrecht auf einen Austausch zwischen den beiden gedrängt. Wollenweber stellte dies vor Gericht anders dar.

Die Rolle von Wollenweber wird auch in einem anderen Zusammenhang bisher zu wenig beleuchtet: Pülm und Wollenweber haben etwa vier gemeinsame Vorträge an unterschiedlichen Orten in Süddeutschland gehalten. Dabei sei es vor allem um die in der Reichsbürger-Szene verbreitete Thesen zum RuStAG gegangen. Wollenweber sei hier als Expertin für »Ahnenforschung« aufgetreten. Die Frage, wie diese Vortragsreisen im Zusammenhang mit den Plänen der Vereinten Patrioten und der Rolle von Pülm als Mitglied einer eventuellen »Wahlkommission« stehen, bleibt im Prozess bisher unberücksichtigt.

Fraglich ist, ob diese offenen Punkte im weiteren Verlauf des Prozesses noch eine Rolle spielen werden. Schon jetzt hat das Gericht durchblicken lassen, dass es geneigt ist, der Erzählung der Verteidigung zu folgen. Auch machte der vorsitzende Richter deutlich, dass er die Geständigkeit des Angeklagten und die Kooperation seiner Verteidigung, die eine Haftstrafe von höchstens drei Jahren auszuhandeln versucht, positiv bewertet.

Zwar sind noch bis November Prozesstage angesetzt, ein Urteil könnte jedoch schon früher fallen.