Extrem rechte »Jugendhilfe« in der Pfalz

Von der Jugendhilfe Kibo gibt es bisher nur einen Briefkasten und eine schlecht gemachte Homepage. Doch wirbt sie offensiv um Spenden. © Rhein-Main Rechtsaußen

Im pfälzischen Donnersbergkreis bauen AfD-FunktionärInnen einen Jugendhilfsverein auf

Vor wenigen Monaten wurde in Kirchheimbolanden im pfälzischen Donnersbergkreis der Verein
Jugendhilfe Kibo e.V. gegründet. Der Verein will pädagogisch arbeiten und einen Treffpunkt für Jugendliche schaffen. Doch es ist ein Tarnverein der Alternative für Deutschland (AfD). Die Partei verfolgt in Rheinland-Pfalz die Strategie, sich im ländlichen Raum stärker zu verankern. Dazu setzt sie auf Jugendarbeit und versucht die Lücken zu füllen, die durch die Kürzungen im Sozialbereich und durch leere Kassen der Kommunen entstehen

Noch nicht eingetragen und schon gemeinnützig?

Seit August ist die Onlinepräsenz des Jugendhilfe Kibo e.V. öffentlich abrufbar. Der Namenszusatz »e.V.« ist irreführend. Denn der Verein ist nicht im Vereinsregister zu finden. Auf der Website heißt es, dass eine Eintragung noch erfolgen solle. Dennoch wirbt der Verein offensiv um Spenden und damit, dass diese steuerlich absetzbar seien, da er als gemeinnützig anerkannt sei. Falls dies stimmt, würde das bedeuten, dass das Finanzamt Worms-Kirchheimbolanden dem Verein die Gemeinnützigkeit bereits zuerkannt hat.

Auf der Homepage stellt sich ein Team von acht Personen vor, davon tragen vier weiße Arbeitskleidung mit dem Vereinslogo. Sie präsentieren ein pralles Angebot von Leistungen. Kinder und Jugendliche sollen umfassend pädagogisch und psychologisch betreut werden. Auch wolle man sexualpädagogisch arbeiten – zur »Aufklärung und Unterstützung zur Stärkung eines gesunden Körper- und Selbstbewusstseins«. Zur Vermittlung von Medienkompetenz ist die Durchführung von »Schulungen für den sicheren Umgang mit digitalen Medien sowie Prävention von Cybermobbing« vorgesehen. Zudem soll es Freizeitangebote wie Selbstverteidigungstrainings geben. Eltern bietet der Verein unter anderem »Erziehungsbeistandschaft« und »therapeutisch gestützte Familienhilfe« an.

Das alles soll sowohl ambulant als auch in einem »Haus der Zukunft« stattfinden. Unter diesem Namen will der Verein eine Anlaufstelle einrichten, wo Kinder und Jugendliche auch stationär betreut werden sollen. Das »Haus der Zukunft« soll in der Erzbergerstraße 14a in Kirchheimbolanden entstehen, wo auch der Verein seinen Sitz hat. Das Anwesen dort ist ein modernes Haus mit fünf Wohneinheiten, die alle bewohnt sind. Es erschließt sich nicht, wie und wo hier Kinder und Jugendliche betreut werden sollen.

In diesem Wohnhaus in der Erzbergerstraße am Ortsrand von Kirchheimbolanden soll das »Haus der Zukunft« eingerichtet werden. © Rhein-Main Rechtsaußen

Das »Team« von Jugendhilfe Kibo

Auf einem Briefkasten in der Erzbergerstraße 14a befinden sich Schilder mit »Wieser«, »Jugendhilfe-Kibo e.V.« sowie »Kibo Thaimassage bei Chris«. Hier wohnt Christian Wieser, Beisitzer im Vorstand der AfD Donnersbergkreis und stellvertretender Fraktionsvorsitzender der AfD im Kreisrat. Er ist Erster Vorsitzender der Jugendhilfe Kibo und es scheint, als sei der Verein eine seiner dubiosen Geschäftsideen. Neben Jugendhilfe und Thaimassage bietet er auch wirtschaftliche Weiterbildung an. Nach eigenen Angaben ist er Psychologe und Geschäftsführer eines Wirtschaftsinstituts für zentrale Aus- und Weiterbildung (WIZA). Auch dieses hat seinen Sitz an der selben Adresse. Wissenschaftliche Tätigkeiten, Referenzen und ein Team lassen sich bei diesem »Institut« nicht feststellen.

Zweite Vorsitzende von Jugendhilfe Kibo ist Melanie Enders.Sie stellt sich auf der Vereins-Homepage als Pädagogin vor. Sie kandidierte für die AfD im Jahr 2024 für den Gemeinderat in Bolanden (Donnersbergkreis), wurde jedoch nicht gewählt.

Nächster im Team von Jugendhilfe Kibo ist Markus Enders. Auch er soll im »Haus der Zukunft« pädagogisch arbeiten. Er sitzt für die AfD im Gemeinderat Bolanden und im Kreisvorstand Donnersbergkreis.

Jens Ott aus dem benachbarten Gauersheim ist Schatzmeister des Vereins und wird auf der Homepage als „Fels in der Brandung“ im Team vorgestellt. Er ist Fraktionsvorsitzender der AfD-Fraktion im Kreistag vom Donnersbergkreis und kandidierte auf Platz zehn der AfD-Landesliste zur Bundestagswahl 2025.

Zweiter Vorsitzender von Jugendhilfe Kibo ist Patric Berges aus Waldalgesheim (Landkreis Mainz-Bingen). Er ist IT-Fachmann und kann sich keine pädagogische Referenz zurechtflunkern, deswegen ist er im Verein offiziell für die IT zuständig. Desweiteren arbeitet er für die rheinland-pfälzische Landtagsfraktion der AfD und sitzt als stellvertretender Fraktionsvorsitzender im Verbandsgemeinderat Rhein-Nahe (Kreis Mainz-Bingen) sowie im Vorstand der AfD Mainz-Bingen. Zur Landtagswahl in Rheinland-Pfalz im März 2026 tritt er als Direktkandidat im Wahlkreis Bingen an.

Zu seinen Positionen schreibt Berges, dass er »NGOs den Geldhahn abdrehen will«. Zudem vertritt er die Auffassung, dass in der Politik Bildung vernachlässigt werde, wodurch »Menschen anfälliger für ›Mainstream Narrative ‹« würden. Deshalb möchte er das »linke Staatsfernsehen« gleich ganz abschaffen.

Bild oben: Auf der Homepage von Jugendhilfe Kibo wird Markus Enders als »Pädagoge« mit Herz und Verstand vorgestellt. Bild unten: Markus Enders auf einer Veranstaltung der AfD in Ludwigshafen am 10. August 2025 – mit der Tätowierung »FUCK OFF« am Ellenbogen. Screenshot Homepage Jugendhilfe Kibo, © dokunetzwerk rheinmain

Der Treffpunkt Nordpfalz

Rund zehn Autominuten von Kirchheimbolanden entfernt liegt Gauersheim. Hier leben 650 Menschen, 162 von ihnen wählten bei der Bundestagswahl im Februar 2025 die AfD, die auf einen Stimmenanteil von 34,9% kam. Hier hat die AfD in einem ehemaligen Gasthof im Juli 2025 ihren Treffpunkt Nordpfalz eingerichtet, wo Treffen und Veranstaltungen der Partei stattfinden.

Eine treibende Kraft des Treffpunkt Nordpfalz ist Sebastian Münzenmaier aus Ober-Olm bei Mainz, der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der AfD-Bundestagsfraktion. Bei der Eröffnungsfeier des Treffpunkt Nordpfalz am 19. Juli hielt er eine Rede und schrieb danach vom »Traum von einem eigenen Anlaufpunkt für Patrioten«, der nun wahr werde. Münzenmaier war auch eine zentrale Figur des Zentrum Rheinhessen in Mainz, das bis Januar 2024 ein Kristallisationspunkt der AfD im Bundesland war, bevor es von den Behörden geschlossen wurde.

Für beide Projekte wurde ein Trägerverein aufgebaut. Während in Mainz der Trägerverein Zentrum Rheinhessen – Deutsches Kulturerbe in Rheinhessen e.V. ausschließlich von Burschenschaftern gegründet wurde, sind es beim Treffpunkt Nordpfalz e.V. neben Münzenmaier überwiegend Mitglieder der AfD aus dem Donnersbergkreis.

Am 31. Juli 2025, zwölf Tage nach Eröffnung des Treffpunkt Nordpfalz, gründete Münzenmaier zusammen mit Dirk Bisanz und Bernd Schattner die Rotbart Immobilien GmbH mit Sitz in Ober-Olm. Bisanz ist Zahnarzt und Mitglied der AfD-Stadtratsfraktion in Kaiserslautern, Schattner aus Altdorf (bei Neustadt an der Weinstraße) ist Unternehmer und Bundestagsabgeordneter der AfD. Als Tätigkeit gibt die Rotbart Immobilien GmbH »Erwerb, Verwaltung, Vermietung und Verkauf von Immobilien, sowie Projektentwicklung von Immobilien« an. Man wird genau hinsehen müssen, ob das neue Unternehmen dazu dienen wird, Immobiliengeschäfte »für die Bewegung« abzuwickeln.

Die Überschneidungen zwischen Jugendhilfe Kibo und Treffpunkt Nordpfalz e.V. sind groß. Jens Ott und Markus Endres zählen zum Vorstand von Treffpunkt Nordpfalz, Christian Wieser ist dort Gründungsmitglied und Patric Berges laut Eigenangabe einfaches Mitglied.

Welche Drohkulisse das Projekt in Gauersheim aufbaut, zeigte sich am 3. Oktober 2025. Als sich AnwohnerInnen zu einem BürgerInnendialog auf dem Dorfplatz trafen, störte die AfD mit ca. 40 Personen die Veranstaltung so massiv, dass diese abgebrochen werden musste. Jan Richard Behr aus Mainz, der Ende November in Gießen als stellvertretender Bundesvorsitzender der neuen AfD-Jugend kandidieren will, und Benjamin Steiner, Ortsbeirat der AfD in Mainz, kommentierten die Aktion auf Instagram mit den Worten: »Die Stimmung? Fantastisch. Der Platz? Unser. Gauersheim? Patriotisch!«

Der Treffpunkt Nordpfalz in Gauersheim. Der Schriftzug auf der Fassade vom (alten) Gästehaus und Restaurant ist mittlerweile überstrichen. © privat

Von der AfD (noch) weiter nach rechts

Die AfD ist insbesondere bemüht, ihre Räume Jugendlichen zu öffnen. Leider nicht ohne Erfolg. Einladungen wie zum »Jugend-Aperolabend« im Treffpunkt Nordpfalz folgen bis zu 40 junge Leute. In einem Verein wie Jugendhilfe Kibo würden Jugendliche, die sich gerade in herausfordernden Lebenslagen befinden, unter den Einfluss extrem rechter MenschenfängerInnen geraten. Hierin liegt die besondere Gefahr. Denn die Partei und ihre »alte« Jugendorganisation Junge Alternative funktionieren seit Jahren als Durchlauferhitzer in der Radikalisierung junger Leute.

Jugendliche werden dort mit extrem rechtem Gedankengut und Verschwörungserzählungen (»Der große Austausch«) ideologisiert auf den »Kampf für Deutschland« eingeschworen. Die Beobachtung der vergangenen Jahre gerade auch in Rheinland-Pfalz zeigt, dass sich so manche von ihnen nicht mehr in parteitaktischer Zurückhaltung üben wollen.

Ein aktueller Fall ist Bryan G. Er ist Vollwaise und wohnte in einer sozialen Einrichtung in Kaiserslautern. Laut eigener Angabe trat er 2024 als Vierzehnjähriger der JA bei und besuchte AfD-Veranstaltungen. Auf Instagram präsentierte er stolz eine unterschriebene Autogrammkarte von Björn Höcke und postete, dass er das Buch von Maximilian Krah »Politik von rechts« gelesen habe.

G. radikalisierte sich schnell. Heute ist er bei den Jungen Nationalisten (JN) aktiv, der Jugendorganisation der neonazistischen Partei Die Heimat (ehemals NPD). Mit ihnen nimmt er an Aufzügen teil – so am 30. August 2025 in Kaiserslautern, als Neonazis gegen die Feiern des Christopher Street Day pöbelten.

Ein weiteres Beispiel ist der gerade volljährige Jamie Plaumann aus dem Raum Frankenthal, der bis 2024 für die AfD sehr aktiv war und dann zur Neonazipartei Der III. Weg weiterzog (Rhein-Main Rechtsaußen schrieb darüber).

Bernd Schattner und Jamie Plaumann an einem AfD-Informationsstand in Annweiler im Frühjahr 2023. Schattner gründete im Juli 2025 mit anderen AfD-Funktionären ein Unternehmen für den Erwerb und die Verwaltung von Immobilien. Plaumann radikalisierte sich in der Jungen Alternative und ist heute Aktivist der Neonazipartei Der III. Weg. Quelle: Instagram

Tarnvereine zur Normalisierung

Mit Vereinen wie Jugendhilfe Kibo inszeniert sich die AfD – gerade im ländlichen Raum – als Kümmererpartei. Auch dürften einige Aktive der Partei im Donnersbergkreis damit liebäugeln, sich über den Verein einen Job zu beschaffen, um politische Rekrutierungsarbeit idealerweise mit Lohnarbeit zu verbinden.

Dass dem Verein offensichtlich noch vor seiner Eintragung ins Vereinsregister vom zuständigen Finanzamt eine Gemeinnützigkeit zuerkannt wurde, wäre ein ungewöhnlicher, aber rechtlich möglicher Vorgang. Doch ist zu prüfen, auf Grundlage welcher Angaben diese Zuerkennung erfolgte.

Noch befindet sich der Verein Jugendhilfe Kibo im Aufbau. Es ist nicht bekannt, wie weit die Pläne zum Aufbau des »Haus der Zukunft« fortgeschritten sind, ob hierfür schon Räume gefunden wurden oder ob diese tatsächlich in der Erzbergerstrasse 14a in Kirchheimbolanden eingerichtet werden sollen.

Eine als gemeinnützig anerkannte »Jugendhilfe« in der Hand der AfD mit einem festen Treffpunkt, stationärer Unterbringung von Jugendlichen und Jobs für die (rechten) Mitarbeitenden wäre ein weiterer Schritt zur Normalisierung der extremen Rechten. Es wäre sogar ein Dammbruch. Die Behörden und die demokratischen Instanzen im Donnersbergkreis, in Rheinland-Pfalz und darüber hinaus müssen nun alle Hebel in Bewegung setzen, um derartiges zu verhindern.

Nicht auszuschließen ist derzeit, dass sich zwielichtige Geschäftsleute aus der AfD den Jugendhilfe Kibo e.V. vor allem geschaffen haben, um hierfür Geld einzusammeln – und dass sie das Projekt gar nicht ernsthaft weiterverfolgen werden. Darauf deutet unter anderem die aufdringliche Spendensammelei des Vereins hin. Sollte sich derartiges herausstellen, dann wäre das möglicherweise auch ein Fall für die Justiz.


Zur AfD in Rheinland-Pfalz siehe auch: AfD Mainz – die Radikalisierungsspirale dreht sich weiter, 10.02.2025