Landwirt*innen und Marktradikale

Viele Landwirt*innen klagen, durch Auflagen zum Klimaschutz, Naturschutz, durch die Streichung der Subventionierung des Agrardiesels und andere Regelungen finanziell zu stark belastet zu werden. So seien sie nicht mehr konkurrenzfähig mit ausländischen Importen, die derartige Auflagen nicht erfüllen müssen. Dass Flugbenzin hingegen weiter subventioniert wird, nährt den Eindruck, dass der Luftverkehr mehr politische Wertschätzung erfährt (und die bessere Lobby hat) als die Erzeugung von Lebensmitteln. Bei den Protesten ist man sich einig, dass die Regierungskoalition, die Ampel, weg muss. Dann stellt sich die Frage, was an ihrer Statt folgen soll. Linke Alternativen sucht man dort bis auf wenige Ausnahmen vergeblich.

Ein Sprachrohr der »Bauernproteste« im Rhein-Main-Gebiet ist der Landwirt und Kleinunternehmer Henrik Winkler aus Bad Vilbel. Er verbreitet von sich ein Foto, dass ihn in einem Shirt mit dem Symbol der Farmers Defense Force zeigt. Die Gruppe entstand 2019 in den Niederlanden. In ihr sammeln sich Kräfte der »Bauernproteste«, die keine Berührungsängste zum rechtspopulistischen Spektrum haben. Auch sitzt Winkler im Vorstand mehrerer Initiativen und Vereine. Er ist zweiter Vorsitzender von Land schafft Verbindung Hessen e.V., dem hessischen Landesverband der bundesweit aktiven Vereinigung Land schafft Verbindung (LsV). LsV gründete sich 2019 als Netzwerk von Landwirt*innen, die sich nicht mehr vom Deutschen Bauernverband vertraten sahen. 2021 spaltete sich LsV unter anderem an der Frage, ob man sich von der AfD abgrenzen müsse. Die, die Abstand zur AfD halten wollten, verließen den Verband. An den Aufzügen der Bürgerinitiative Franken 2023 in Aschaffenburg nahmen Angehörige des LsV mit eigenen Transparenten teil.

Demonstration unter dem Motto »Handwerk steht zusammen!« am 24. Februar 2024 in Hanau. Der Aufzug wurde von der rechten Verschwörungsszene dominiert. © ASVI

Bundesvorsitzende des LsV war bis Sommer 2023 Maike Schulz-Broers aus Niedersachsen. Sie trat in den vergangenen Jahren mehrfach bei der proprietaristischen Atlas-Initiative auf. Die Probleme in der Landwirtschaft führt sie darauf zurück, dass es dort zu viel Planwirtschaft und zu wenig Marktwirtschaft gebe. Zugleich beklagt sie, dass die Lebensmittelhändler und Discounter die Preise drücken und die Bodenpreise steigen würden. Logisch erscheint das nicht. Doch was die Ideologie der Marktradikalen für sie und andere Landwirt*innen interessant macht, sind Versprechungen von weniger Bürokratie, weniger Steuern, weniger Klimaschutz, weniger »Tierwohl« und Abschaffung der Mindestlöhne. Man glaubt tatsächlich auf einem völlig unregulierten Markt wieder konkurrenzfähig werden zu können.

Maike Schulz-Broers kandidiert bei der anstehenden Europawahl für ein neu gegründetes Aktionsbündnis Demokratie. Sie steht auf Listenplatz drei, ihr folgt auf Listenplatz vier mit Philipp Lengsfeld aus Berlin ein Leugner des menschengemachten Klimawandels. Vor ihr auf Listenplatz zwei befindet sich Melissa Krall. Sie ist die Tochter von Markus Krall aus Frankfurt, der einer der bekanntesten Vertreter des proprietaristischen Spektrums ist. Melissa Krall eifert ihrem Vater in jeder Beziehung nach und sucht die Nähe zur verschwörungsideologischen Szene. Beispielsweise war für den 14. März 2024 ein Auftritt von ihr bei der medienfeindlichen Kampagne Leuchtturm ARD in Frankfurt angekündigt.

Ein weiteres Sprachrohr des Proprietarismus ist der pfälzische Unternehmer Wolfgang Kochanek. Er unterstützt die Initiative Deutschland Steht Auf – Neustart Demokratie, die am 25. Mai eine »Großdemo« in Frankfurt durchführen will. Anmelderin dieses Aufzugs ist die Reichsbürgerin und Verschwörungsideologin Ingrid Reich aus Neu-Anspach. Kochanek hatte bereits 2022 angekündigt, dass sein Kreis eine »geeinte Freiheitsbewegung mit erheblichen finanziellen Mitteln« unterstützen werde. Auf seine Initiative hin entstand 2022 das Netzwerk Unternehmer stehen auf. Im Frühjahr 2023 gründete sich mit Sitz mit nordrhein-westfälischen Bocholt der Verein Unternehmer stehen auf Deutschland e.V. Im siebenköpfigen Bundesvorstand sitzen auch zwei Personen aus Hessen: Die umtriebige Ingrid Reich und der selbsternannte »Bauernführer« Henrik Winkler aus Bad Vilbel. Womit sich der Kreis wieder schließt.

Die marktradikale und proprietaristische Ideologie hat einen ungebrochenen Einfluss auf die rechte Verschwörungsszene. Im »Glossar der rechten Verschwörungsszene« gibt es neue Beiträge zu Personen und Organisationen aus diesem Spektrum, zum Beispiel zu Wolfgang Kochanek, Unternehmer stehen auf, Die Weissen und dem AfD-Politiker Klaus Gagel.