Ein Vorstandsmitglied der Kreisgruppe Aschaffenburg des Reservistenverbands trägt das Leittransparent eines neonazistischen Aufzugs. Recherchen zeigen, dass er offenkundig schon seit über 20 Jahren der neonazistischen Szene angehört und in der Vergangenheit zusammen mit bekannten Neonazis an Demonstrationen teilnahm. Es ist nur schwer vorstellbar, dass niemand aus dem Reservistenverband dies in all den Jahren bemerkt hat.
Zum Volkstrauertag am 15. November finden in Deutschland zahlreiche offizielle Gedenkveranstaltungen für die Opfer von »Krieg und Gewalt« statt. In Zeiten zunehmender Militarisierung der Gesellschaft nutzen Bundeswehr und ihre Reservistenverbände diesen Anlass, sich öffentlich darzustellen. So beteiligten sich Angehörige der Soldaten- und Reservistenkameradschaft Aschaffenburg-Schweinheim mit einer Ehrenwache an der zentralen Gedenkveranstaltung in der Aschaffenburger Muttergottespfarrkirche, um – in eigenen Worten – ihre »Treue zu demokratischen Werten« zum Ausdruck zu bringen.

Nicht nur offizielle Stellen pflegen die Tradition des Volkstrauertags. Neonazis »gedenken« an diesem Tag denen, die aktiv am Nationalsozialismus und seinen Verbrechen mitgewirkt haben. So veranstaltetee die Neonazipartei Die Heimat (ehemals NPD) am 15. November 2025 in Staufenberg im Landkreis Gießen ein »Heldengedenken« mit Fackelzug. Unter den 35 Teilnehmenden befanden sich eine Handvoll Personen aus dem Raum Aschaffenburg. Darunter war Stabsunteroffizier d. R. Michael Brand aus Haibach bei Aschaffenburg, seit 2022 stellvertretender Vorsitzender der Kreisgruppe Aschaffenburg des Verbands der Reservisten der Bundeswehr e.V. Er ging zusammen mit dem bundesweit bekannten Neonazi Thorsten Heise an einem Transparent dem Aufzug voran.
Seit langer Zeit in der Neonaziszene
Michael Brand repräsentiert den Aschaffenburger Reservistenverband zu verschiedenen Anlässen. Er wird mehrfach in der Presse zitiert und ist auf zahlreichen Fotos von Aktivitäten der Reservisten zu sehen. Für diese nimmt er am CityLauf Aschaffenburg teil, begrüßt prominente Gäste beim »Sicherheitspolitischen Abend« im Reservistenheim Schweinheim und betreut den »Tag der Reserve« auf dem Aschaffenburger Schlossplatz, auf dem sich Reservist*innen und Bundeswehr einem breiten Publikum vorstellen.

Doch hegt Michael Brand offenbar schon seit langem Sympathien für den Nationalsozialismus. Bereits Anfang der 2000er Jahre wird ein Michael Brand aus Haibach auf einer Liste von Interessenten des Bildungswerks Deutsche Volksgemeinschaft (BDVG) geführt. Dabei handelte es sich um ein Schulungsprojekt aus Kreisen der Jungen Nationaldemokraten, der damaligen Jugendorganisation der NationaldemokratischenDie neonazistische Partei Die Heimat trat in der vergangenen Jahren im Rhein-Main-Gebiet kaum außerhalb einzelner Aufzüge der rechten Verschwörungsszene in Erscheinung. Die Partei war 1964 unter dem Namen Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) gegründet und im Juni 2023 in Die Heimat umbenannt worden. Auf den Aufzügen der Bürgerinitiative Franken, die von Mai bis September 2023 in Aschaffenburg stattfanden nahmen Gruppen von… Weiterlesen Partei Deutschlands (NPD), das sich strikt der NS-Ideologie verpflichtet sah. Auch auf einer Adressliste der NPD Aschaffenburg wird der Name in den Jahren 2008 und 2011 geführt, vermerkt unter der Rubrik »alte Interessenten«. Dies belegt keine Mitgliedschaft von Michael Brand in BDVG und NPD, zeigt jedoch, dass er spätestens 2003 Anschluss an die Neonaziszene hatte.
Alte Bekannte: Falko Schüßler und Axel Schunk
Zwei führende Neonazis im Aschaffenburger Raum waren zu dieser Zeit Falko SchüßlerDie Neonazis Dirk Nahrath (links) und Lars Schüßler (rechts) am Leittransparent eines verschwörungsideologischen Aufzugs in Aschaffenburg am 31. Dezember 2022. Ganz links: Tanja Lichtl. © protest.foto südhessen Lars Schüßler ist ein führender Neonazi im Aschaffenburger Raum und Aktivist der rechten Verschwörungszene. Bekannt ist er unter dem Namen Falko Schüßler, seit einigen Jahren tritt er als Lars Schüßler auf. Auf verschwörungsideologischen… Weiterlesen (der sich heute Lars Schüßler nennt) und der heute 88-Jährige Axel Schunk aus Stockstadt. Mit ihnen steht Michael Brand offensichtlich in freundschaftlichem Kontakt. Fotos zeigen den Reserveoffizier zusammen mit Schüßler am 26. Januar 2025 auf dem Aschaffenburger Schloßplatz auf einer Kundgebung von Rhein-Main-steht-aufDie Gruppe Rhein-Main-steht-auf (RMSA) prägt seit ihrer Gründung 2021 das Geschehen der rechten Verschwörungsszene im Raum Aschaffenburg, Miltenberg, Offenbach und Hanau. Die Gruppe war aus den Corona-Protesten entstanden und verfügt über beträchtliche personelle und finanzielle Ressourcen sowie über eine Struktur mit verbindlicher Aufgabenverteilung. RMSA führt beständig Aufzüge und kleinere Protestaktionen durch, die sich gegen »Ampelpolitik« und Linke richten. Obwohl RMSA… Weiterlesen (RMSA). Wenige Wochen später, am 22. Februar, ist Brand zu Beginn eines Aufzugs von RMSA auf dem Aschaffenburger Volksfestplatz erneut mit Schüßler dokumentiert. Bei ihnen steht Axel Schunk und auf dem folgenden Aufzug liefen Brand und Schunk zusammen.

Axel Schunk ist seit den 1980er Jahren ein bundesweit bekannter Neonazi. Er war eine Führungsperson der Wiking-Jugend (WJ), die sich in der Tradition der Hitler-Jugend sah und 1994 vom Bundesinnenminister verboten wurde. Darüber war Schunk Ziehvater zahlreicher, heute noch aktiver Neonazis, welche die WJ durchliefen. Einer seiner Zöglinge war Falko Schüßler. In den 1990er Jahren war Schunk ein Drahtzieher der sogenannten »Hans-Münstermann-Märsche«, zu denen bundesweit Neonazis nach Aschaffenburg reisten, um eines »Kameraden« zu gedenken, der im Februar 1993 bei einem Überfall auf Geflüchtete von einem der Angegriffenen in Notwehr getötet wurde. Bis ins hohe Alter hatte Schunk Positionen in neonazistischen Organisationen inne. Bis 2015 war er im Vorstand der im September 2023 verbotenen Artgemeinschaft, bis Dezember 2023 war er Vorstandsmitglied des Vereins Freundeskreis Ulrich von Hutten, in dem Mitglieder der ehemaligen Wiking-Jugend, der Artgemeinschaft und der NPD zusammenkamen.

Auch die Veranstaltung in Staufenberg am 15. November deutet darauf hin, dass sich Brand und Schunk gut kennen. Sie reisten zusammen an und Fotos der Veranstaltung zeigen die beiden in Gesprächen mit Thorsten Heise (dokumentiert vom Medienprojekt Recherche Nord) und mit Stefan Jagsch, dem hessischen Landesvorsitzenden von Die Heimat. Bemerkenswert ist, dass der Reservisten-Funktionär offenbar keine Bedenken hatte, sich mit führenden Neonazis zu zeigen und zusammen mit Heise den »Fackelmarsch« anzuführen. Es zeigt: Michael Brand fühlt sich sicher. Wohl, weil er noch nie Konsequenzen für seine neonazistischen Aktivitäten tragen musste.

Die endlose Reihe von Einzelfällen
Brands Auftreten steht im Widerspruch zur öffentlichen Selbstdarstellung der Reservisten, doch überraschend ist es nicht. Es ist letztendlich nur eine weitere Geschichte in der endlosen Reihe der Skandale um extreme Rechte in der Bundeswehr, verschwundene Munition, illegale Waffendepots, erniedrigende Rituale, militärische Ausbildung für Neonazis, geheime Netzwerke und deren Umsturzpläne. Und auch beim Fall Michael Brand wird man beteuern, nichts von seinen neonazistischen Aktivitäten gewusst zu haben. Man wird sich bestürzt zeigen, von einem Einzelfall reden und Konsequenzen ankündigen. Und ändern wird sich so gut wie nichts.
Der derzeitigen politischen Agenda folgend suchen zahlreiche Volksvertreter*innen demonstrativ die Nähe zur »Parlamentsarmee Bundeswehr« und/oder werden Mitglied in einem Reservistenverband. So auch der aufstrebende Bundestagsabgeordnete Niklas Wagener, Mitglied der Grünen in Aschaffenburg, ehemaliger Klimaaktivist und heute Mitglied im Verteidigungsausschuss des Bundestags. Er wurde im Oktober 2025, im Anschluss an einen »Sicherheitspolitischen Abend« als Mitglied der Reservistenkameradschaft Aschaffenburg-Schweinheim aufgenommen. Dazu gratulierte ihm Michael Brand persönlich.
