Bewährung für Bombensammler

Statt mehrjähriger Haft bleibt der Frankfurter Marcel L. auf freiem Fuß

Seit Mai verhandelte das Frankfurter Landgericht gegen den inzwischen 28-jährigen Marcel L. aus dem Frankfurter Stadtteil Bergen-Enkheim. Im April 2023 war er festgenommen worden, wobei die Polizei zahlreiche Verstöße gegen das Sprengstoff- und Waffengesetz registrierte. Das Gericht sah letztlich keine Hinweise auf die Vorbereitung einer staatsgefährdenden Gewalttat und verurteilte den Studenten zu zwei Jahren auf Bewährung.

Dass ein Sondengänger, also jemand, der mit Metalldetektoren nach interessanten Funden im Boden sucht, wegen Rechtsterror-Vorwürfen vor Gericht steht, ist in Frankfurt nichts Neues: Erst im September 2023 war die Familie Frankenbach aus Glashütten-Schloßborn, die diesem Hobby nachgingen und dabei vor allem nach Sprenggranaten aus dem Zweiten Weltkrieg ausgruben, vom Frankfurter Landgericht zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt worden (siehe LOTTA #92). Nun stand mit Marcel L. erneut ein Sondengänger vor Gericht. Auch auf ihn waren die Ermittlungsbehörden durch einen Zufall aufmerksam geworden: Im Zuge von Ermittlungen gegen einen kleinkriminellen Bekannten des später Beschuldigten stießen sie auf Handyvideos, die unter anderem den improvisierten Transport einer großen Fliegerbombe aus dem Zweiten Weltkrieg zeigten. Wenige Tage später, im April 2023, durchsuchte die Polizei die Wohnung, der L. gemeinsam mit seinen Eltern und seinem Bruder lebte, im Frankfurter Stadtteil Bergen-Enkheim. Die Durchsuchungsmaßnahmen zogen großes mediales Interesse nach sich: Eine Splitterbombe, die an einer Schnur unter der Decke des Kinderzimmers baumelte, musste notgesprengt werden. Unter anderem in der früheren Heeresmunitionsanstalt bei Münster-Breitefeld (Kreis Darmstadt-Dieburg) war Marcel L. fündig geworden, trotz Betretungsverbots, und hatte gar eine Dutzende Kilo schwere Fliegerbombe von dort abtransportiert und nahe des elterlichen Hauses in einem Acker vergraben.

L. hatte im heimischen Zimmer zahlreiche Hülsen unterschiedlichster Granaten in Reih und Glied feinsäuberlich aufgestellt. Im Badezimmer waren in einer Plastikschale andere Bodenfunde aus dem Zweiten Weltkrieg in einer Lösung eingelegt. Über dem Fenster seines Zimmers hing eine Uzi-Maschinenpistole. im Laufe der Ermittlungen wurde zudem bekannt, dass der Beschuldigte weitere Bomben und Granaten an verschiedenen Verstecken gelagert hatte, darunter in der Kleingartenparzelle der Familie, aber auch im Wald vergraben. Auf einer Webseite namens »kampfmittel.com«, in der seine Wohnanschrift im Impressum angegeben war, plante L., seine Sammlung zu präsentieren, aber auch Handel zu treiben. Bis zur Festnahme hatte er laut der Anklageschrift über 4.000 Euro Gewinn aus entsprechenden Geschäften erzielt.

Rechte Gesinnung…

Vor Gericht wollte sich L. zunächst nicht zu den Vorwürfen einlassen, seine beiden Strafverteidiger – darunter seine Tante – kündigten lediglich eine schriftliche Einlassung zu einem späteren Zeitpunkt an. Diese Strategie wandelte sich im Laufe des Verfahrens: Der Angeklagte packte nun aus. Wohl auch, weil deutlich wurde, dass er eine extrem rechte Gesinnung kaum würde abstreiten können.

Marcel L. stammt gebürtig aus Frankfurt, und entschloss sich nach Abitur und einem abgebrochenen Studium der Geowissenschaften zu einem Studium bei der hessischen Polizei. Wegen einer Reihe von Vorfällen wurde er aus dem Beamtenverhältnis als Polizeistudent jedoch entlassen: Er hatte einen Bereitschaftspolizeiausbilder beleidigt, war betrunken Auto gefahren und soll bei einer Schießübung auf einen migrantischen Kommilitonen gezielt haben. Wegen Heil-Hitler-Rufen auf einer privaten Gartenparty wurde 2017 gegen ihn ermittelt, in diesem Verfahren wurde er freigesprochen, da nicht bewiesen werden konnte, wer der Rufer war. Nach einem weiteren abgebrochenen Jura-Fernstudium war der Angeklagte zuletzt im Studiengang Bauingenieurwesen eingeschrieben.

Im Prozess wurde deutlich, dass L. mitnichten als rechter Einzelgänger gelten kann. Er hatte einen eher großen Freundeskreis, eine Partnerin, und war gut in das dörfliche Umfeld in Bergen-Enkheim im Osten Frankfurts integriert. Einige seiner Freunde sind bei der freiwilligen Feuerwehr, während der CoViD-19-Pandemie traf man sich zum Trinken und Kiffen am Jugendhaus. Ein Zeuge sagte aus, alle hätten AfD gewählt, das sei Konsens gewesen, betrunken habe der Angeklagte dann auch schon mal den Hitlergruß gezeigt. Mit den durch Alkohol und Drogen ausgelösten Rauschzuständen erklärte L. im Prozess auch die Chatnachrichten, die er vor allem in den Jahren 2021 und 2022 abschickte: Mit seinen Freunden kommunizierte er in einer Chatgruppe namens „Frankfurter Afghanen-Jäger“, die er später in „Angry Austrian Painter“ – samt einem Foto Adolf Hitlers – umbenannte.

… aber keine Umsturzpläne?

Immer wieder ging es in den Chatgruppen, die auf dem Handy des Angeklagten gefunden wurden, auch um Vorbereitungen auf einen „Tag X“. Sein Kindheitsfreund Kristian Z. schickte eine Sprachnachricht, in der er sich höchst detailliert ausmalte, er selbst würde einen brutalen Anschlag auf eine Moschee begehen. Darauf antwortete L.: „Bin dabei. Lass danach die Moschee sprengen. Hab der Moschee in Kesselstadt in den Hof gepisst“. Gemeint ist der Hanauer Stadtteil Kesselstadt, zweiter Tatort des Anschlags vom 19. Februar 2020, bei dem ein Rassist neun Menschen aus rassistischen Motiven ermordet hatte – der Täter hatte beim Schützenverein in Bergen-Enkheim trainiert. Die Nachrichten von L. und seinen Freunden datieren auf den ersten Jahrestag des Hanauer Anschlags.

Im Juni 2021 kündigte L. im Chat gar explizit einen Anschlag auf eine Geflüchtetenunterkunft an, unter Nennung des konkreten Ortes: „Glaube wir sehen uns nicht wieder. Sieg Heil Kameraden.“ Später erklärte L. dies mit seinem Suchtverhalten, der psychiatrische Gutachter stützte diese Aussage und stufte seine ausgeprägte Sammelleidenschaft zudem als Zeichen für Autismus ein.

Staatsanwaltschaft und Gericht gelangten im Prozessverlauf zur Auffassung, dass der Angeklagte keine staatsgefährdende Gewalttat vorbereitet habe. Ihm kam dabei auch zugute, dass er weitere Bombenverstecke verriet und sogar jenen Paderborner Waffenhändler, der ihm die Uzi-Maschinenpistole verkauft hatte, namentlich nannte. Noch vor Prozessende kam L. daher aus der Untersuchungshaft frei. Im Plädoyer unterstrich die Staatsanwaltschaft die Schwere der waffen- und sprengstoffrechtlichen Straftaten und forderte drei Jahre Haft, ließ aber die Möglichkeit der Bewährung offen. Das Gericht verurteilte ihn am 20. September 2024 zu zwei Jahren auf Bewährung, ausgesetzt auf einen Zeitraum von drei Jahren, verhängte eine Meldeauflage sowie eine Drogenabstinenz und zog zahlreiche Gegenstände ein. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Dass L. auch in realweltliche extrem rechte Netzwerke eingebunden war, von Treffen mit Rechtsrock und Lagerfeuer berichtete, zu denen er über Sondengänger-Foren Zugang bekam, war weder in den polizeilichen Ermittlungen noch im Gerichtsprozess Thema.


Dieser Artikel von Jacob Weyrauch wurde zuerst veröffentlicht in der Zeitschrift LOTTA, Ausgabe 96. Rhein-Main Rechtsaußen hatte bereits zum Prozessauftakt über den Rechtsterror-Prozess gegen den Bergen-Enkheimer Marcel Caballero Lopez berichtet.